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Nun reiste ich mit Gepäck, das ich unterm Arm hätte tragen können. Auch ich wurde
leichter. Meine Geldbörse sowieso. Wie Hans im Glück rutschte mir in Bombay gewisser-
maßen alles in den Brunnen. Noch zählte ich ganze 20 US-Dollar mein eigen. Doch als
ich in Deutschland startete, war es nicht wesentlich mehr gewesen: etwa 250 Mark, rund
50 Dollar.
Also ging es mit Trampen und Bahnfahren weiter. Indien rauf und runter: Kalkutta, Del-
hi, Agra, Jaipur, Bangalore. Der englische Rucksack förderte mein Vorankommen. Die
Neugierde der Inder auf einen vermeintlich »zurückgebliebenen Engländer« war groß. Die
Kolonialzeit war so lange nicht her.
Wenn ich mir als Jugendlicher vorstellte, irgendwo hinzufahren, dann wünschte ich mir
immer den Süden. Eine einsame Küste, weiter Sandstrand, eine verlassene Schilfhütte am
Wasser, Schwimmen im Meer und Tauchen, wo Fische mit der Hand zu greifen sind.
Gleich meine erste Fahrt brachte mich tatsächlich bis in den Süden Indiens. Beim Start
hatte ich kein spezielles Bild vor Augen gehabt, wusste nur, dass dort die Menschen halb
nackt und mit Turban herumliefen. Auch dachte ich an Elefanten und Tiger, mit denen ich
mich »messen« wollte. Und an Maharadschas, die ganze Tempel voller Gold hatten. Keine
schlechte Wahl und vor allem kein schlechtes Ziel. Diese Bilder im Kopf, setzte ich mich
mit achtzehn aufs Fahrrad und stellte mir vor, dass ich über 10 000 Kilometer damit reis-
en werde, ohne mich um irgendwas kümmern zu müssen. Essen würde ich von den Bäu-
men pflücken, schlafen würde ich in meinem Zelt, Pause machen am Strand und in ander-
en schönen Ecken. Ich war wild und sehnte mich nach der Fremde. Ich hätte alles getan,
um dorthin zu gelangen. Erst später begriff ich, dass manche Entfernungen unendlich weit
sind, unter hochstehender, heißer Sonne und mit wenig Essen im Bauch, und dass ein Sand-
strand meist nicht zu finden ist, wenn man ihn sich gerade wünscht.
Ich hatte verdammt viel Angst, dass mir mein Fahrrad gestohlen würde. Ohne Rad wäre
ich ein Nichts gewesen. Man hätte mir die Luft zum Atmen genommen. Ohne (fast ohne)
Geld hätte ich weder vor noch zurück gekonnt. Ich war also gebunden, und daher fühlte
ich mich nicht wirklich frei. An so mancher Abzweigung fragte ich mich: »Wo bin ich?
Welche Richtung muss ich einschlagen?« Die Sprache, die Schriften, die Gebräuche, alles
war mir total fremd. Noch vor einem Jahr war »meine spannendste Welt« das Schwimmbad
in unserem Dorf gewesen. Und jetzt? Meine Zeit ging drauf für Irrgänge jeglicher Art und
den anstrengenden Umgang mit Menschen, die mir gut sein wollten.
So landete ich nach einer langen Reise ein Jahr später an der Malabarküste im Süden Indi-
ens. Dort war das Paradies: Klima, Früchte, Kokospalmen, Sand und unendlich viel Wass-
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