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Indien. Mein Ziel vom ersten Tag dieser Tour an.
Ich stand auf dem Bahnhof Jodhpur. Einerseits: Ich bin da. Endlich und überhaupt, Arme
hoch. Andererseits: Mit einem beklagenswerten Stück Fahrrad bin ich da. Meine schöne
Diamant-Maschine war Schrott. Geflickte Schläuche, mit Bindegarn zusammengehaltene
Mäntel, Draht hielt die Schutzbleche in Stellung, die Gepäcktaschen waren zum Schämen.
Schlimmer noch: Mir fehlte das Bewegungsgefühl fürs Fahrrad. Es eierte. Ich fühlte mich
mit dem Rad nicht mehr als Einheit. Bombay würde ich noch schaffen. »Dort gibt es Er-
satzteile für dein Rad«, sagte ein Inder zu mir. Und ich glaubte ihm.
Ich war nun fast ein Jahr unterwegs, und nach Passieren der ockerfarbenen Stadtmauern
von Jodhpur hatte ich 1000 Meilen bis Bombay vor mir. Falls ich nicht durch Reparaturen
aufgehalten werden würde, schien mir die Entfernung nicht besonders weit. Wieder
begegnete ich Kamelen. Kühe lagerten mitten auf der Straße. Amerikanische Autos und
Lastwagen überholten mich. Bettler traf ich auf freier Strecke. Und zum Ende hin kam der
Regen.
Monsun. Vom Indischen Ozean kommend prasselten tagelang heftige Schauer nieder.
Sie peitschten die Palmen, doch die Menschen freuten sich. Ich war weniger angetan und
schlüpfte unter - in einem Bahnhof, einer Schule, Teestube oder einem Tempel.
Endlich angekommen in Bombay, quartierte ich mich im Bahnhof ein. Leider hatte mir
jemand mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche gestohlen. Da das ausgerechnet auf dem
Hauptbahnhof (Victoria Station) passierte, wollte ich hier den geklauten Inhalt, 15 US-Dol-
lar, »abwohnen«. Und es hat mich niemand daran gehindert, in der imposanten Kuppelkon-
struktion mein Lager aufzuschlagen. Ich war ja in Indien, wo die meisten Reisenden ihr
Hab und Gut (also Schlafutensilien) in Bündeln transportierten. Und wo in jeder Straße
Menschen kampierten. Tagsüber irrte ich durch die Stadt. Meine Ziele: der Seemannsklub
(wo es Eiswasser gab), der Strand (Chowpatty Beach, wo tote Fische ans Ufer schwappten
und es nach Diesel, Öl und Abwasser roch), der Hafen (kaum Schiffe) und ein Zahnarzt
(der mir einen ersten Backenzahn zog).
Kopfzerbrechen bereitete mir mein Rad. Ich fuhr praktisch auf blanken Felgen. Ohne
neue Laufräder, Bereifung und Tretlager war kein Weiterfahren möglich. Dann stieß ich
auf Ram, einen Radhändler, der mein Leben veränderte. Da ich nicht die Mittel für eine
Reparatur hatte, tauschte ich mit ihm mein Rad gegen einen englischen Militärrucksack.
Gebraucht, aber gut vernäht, mit aufgesetzten Taschen für die sogenannten Kleinigkeiten.
Der Tausch erinnerte mich an Hans im Glück. Erst hatte ich das Zelt gegen Übernachtun-
gen in Gabès eingetauscht, dann verschenkte ich Werkzeug und Luftmatratze (um Ballast
abzuwerfen), das Sakko gab ich für Essbares her, Flanellhose, Socken, Wäsche landeten im
Müll.
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