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Nach Indien, um das Meer zu find-
en
Wilfried Erdmann
Alles in allem gibt es nur zwei Arten von Menschen auf der
Welt - solche, die zu Hause bleiben, und solche, die es nicht
tun.
Rudyard Kipling
Vor dem Segeln kam das Radfahren. In meiner Jugend war ich Straßenradrennfahrer. Mein
Rad, eine Maschine vom Typ Diamant, war das Beste, was der Markt in der DDR in den
fünfziger Jahren hergab. Damit lernte ich Magdeburg kennen, Rostock, Wismar, Schwer-
in, Berlin, Jüterbog, den Harz und viel Provinz. Dennoch: Ich war ein Fahrer des Mit-
telfeldes. Weder gut noch schlecht. Was lag näher, als sich nach drei renntechnisch wenig
erfolgreichen Saisons in Richtung Tourenfahren zu orientieren? Und dafür hatte ich mir mit
gerade siebzehn Jahren Indien ausgesucht. Weiter weg hätte ich es mir sowieso nicht vorstel-
len können. Indien auch deshalb: Ich hatte indische Radrennfahrer in Berlin fahren sehen.
Mit Turban, in weißen, langen Pluderhosen, und die Barthaare waren bis hinter die Ohren
weggezwirbelt. Das erschien mir sehr exotisch. Dort wollte ich hin. Straßen gab's offensicht-
lich. Hätten sie sonst Straßenradrennfahrer?
Vor der Fahrt nach Indien kam erst mal die Route zum eigentlichen Startpunkt. Das
musste der Westen sein. Schleswig-Holstein. Also radelte ich 1957 kurzerhand der DDR
davon. Nachdem dieser nicht ganz einfache Aufbruch gelungen war, würde mir auch die
große Tour gelingen, dachte ich. Mit westdeutschem Reisepass, Zelt und Schlafsack machte
ich mich dann bald auf die Strecke. Nicht direkt. Ich entschied mich, Indien über Italien an-
zugehen. In der Schule war ich in Geschichte sehr gut: Hannibal und die Elefanten brachten
mir immer gute Noten. Wie der Rapallo-Vertrag, Vesuv und Pompeji, Syrakus, Palermo und
Friedrich II., der Stauferkaiser. Paradoxerweise hatte mich alles Italienische immer beson-
ders interessiert. Es war sozusagen Pflicht, den Stiefel hinunterzuradeln.
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