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Die eigenen Träume nicht in Frage
stellen
Achill Moser
Der Reiz des Neuen, das Lockende, völlig unbekannte Ge-
genden durchziehen zu können, fremde Völker und Sitten,
ihre Sprache und Gebräuche kennenzulernen, ein Trieb zu
Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: Alles dies be-
wog mich, das Wagnis auszuführen.
Gerhard Rohlfs, Quer durch Afrika
Jedes Jahr ist es dasselbe: Ganz plötzlich ist es da, dieses Gefühl des Unwohlseins. All
meine Lebensfreude kippt ins Gegenteil. Fremdheit im eigenen Körper. Zeitlupengefühl.
Es ist, als wäre ich chloroformgeschwängert: Ich fühle mich zeitweise regelrecht an-
triebsschwach. Alles hängt mir zum Halse heraus: diese Eingeschliffenheit im Alltag, diese
aufgezwungene, grenzenlose Geschäftigkeit - und vor allem das Wetter. Seit Wochen lasten
draußen vor den Fenstern die bleigrauen Wolkenbänke nasskalter Tage über Hamburg. Die
Temperatur klettert kaum noch über null Grad, und der eisige Wind bläst aus Nordosten.
Regenschauer und Schneematsch sorgen ohne Unterlass für verdrießliche Stimmung. Und
wenn zum Jahresende die ganze Stadt unter einem schmutzigen Grau liegt, sorgen Weih-
nachtsbasare mit Kringeln, Lebkuchen, Christbäumen und Lichterglanz für einen schwer-
mütigen Höhepunkt meines unausgeglichenen Gefühlszustands. Festtagssentimentalität
rückt mir zu Leibe, und meine Seele hängt wie eine Trauerweide. Kurzum, ich bin nun mal
kein Winterland-Mensch, mag keinen Himmel wie Schiefer, mag weder Eis noch Schnee,
weder Regenmäntel noch Schirme. In diesen Kaltmonaten wirken meine Bewegungen oft-
mals ebenso ruhelos, wie ich mich fühle. Ich komme mir vor wie ein Tiger im Käfig, bin
zwar durchaus in der Lage, mein Verhalten kritisch wahrzunehmen und zu bewerten, jedoch
ohne die Möglichkeit, korrigierend einzugreifen. Keine einfachen Tage für meine Familie.
Ich gebe mir zwar alle Mühe, »normal« zu funktionieren, doch kaum etwas kann meinen
freudlosen Seelenzustand beflügeln. Gruselige Weltschmerztage, an denen alles in mir gärt.
Ich giere nach Weite und emotionalen Infusionen, würde am liebsten alle Dinge, die mich
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