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Wucht, die in dieser Region oft einem abstrakten Gemälde glichen. Kargheit und Leere in
immer neuen Variationen. Ewigkeit im Augenblick.
Tagsüber, im grellen Sonnenlicht, wirkten die Sandketten eher blass, fahl und konturenlos.
Auch im Gegenlicht erschienen sie mir beinahe grau und trist. Doch am frühen Morgen
und am Abend erlebte ich eine Explosion der Farben. Dann zeigten sich die windgeformten
Dünenhänge in einem Gemisch aus Rot, Orange, Gelb, Braun und Weiß. Manchmal blieb
ich minutenlang stehen, betrachtete den Sand und konnte mich nicht sattsehen am Anblick
der Farben. Oft waren sie so vielfältig, dass ich manche gar nicht benennen konnte, weil
ich kein Wort dafür wusste. Kaum eine andere Wüste bietet eine so abwechslungsreiche
Farbenpracht. Die Wahiba-Beduinen sollen mehr als hundert Bezeichnungen für die Farben
des Sandes kennen.
Hinzu kam der Formenreichtum des Sandes: gewaltige Dünenzüge, parallel verlaufend,
mit prägnantem Charakter. Scharfe Grate, alpine Verwerfungen, bullige Rundungen, Riffe,
Kegel, Kessel - alles aus Sand. Jede Düne, jede Dünenkette war anders gestaltet, keine
glich der anderen. Ich sah Flugsandwellen mit konkaven und konvexen Oberflächen, sah
Dünen, die seltsamen Kreaturen glichen, mal weich geschwungen, mal spitz zulaufend.
Dann wieder mächtige Sicheln und horizontale Schlangengebilde. Sandformationen, die
sich wie lebende Organismen bewegten, angetrieben durch die Luftströme des Windes.
Aerodynamik, die eine ungeheure Formenvielfalt schuf - auch im Detail: Ich sah zauber-
hafte Rippung und Riffelung, skurrile Maserungen und kräuselnde Wellen. Myriaden von
Mustern und Strukturen. Ein unglaublicher Reichtum an Nuancen und Schattierungen.
Sandmeere als ästhetische Kunstform: wild und archaisch.
Dann war da der Wind, der stetig über die hohen Kämme der Dünen blies, sobald das
Licht des glühend-flammenden Sonnenuntergangs verschwunden war. Fast täglich fauchte
er mit schneidenden Böen zwischen sechs und neun Uhr abends heran. Kein wirbelnder
Sturm, bei dem man weder Oben noch Unten unterscheiden konnte, sondern ein un-
ablässiges Wehen, das den Sand aber so in Aufruhr brachte, dass ich mich für zwei oder
drei Stunden in mein kleines Biwak zurückziehen musste, um vor den stechenden Partikeln
geschützt zu sein.
Da waren die Wahiba-Beduinen, meist Kamel- und Ziegenzüchter, von denen noch etwa
3000 in den Wahiba Sands leben. Menschen des Sandes und des Windes. Viele Familien
leben noch heute sehr zurückgezogen. Engere Kontakte zur Außenwelt meiden sie. Ihre
Heimat ist die Wüste, das Land ihrer Vorväter. Ihre Stärke ist der Verzicht auf Bequem-
lichkeit, die ihnen die zivilisierte Stadtwelt bieten würde. Doch niemals könnten sie in der
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