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Darüber hinaus haben Aaron und Dirk in der unermesslichen Weite erfahren, dass die
Wüste kein Ort der Eile ist, dass man in extremen Landschaften auch extrem wech-
selnden Empfindungen ausgesetzt ist, dass man für die Begegnungen mit anders lebenden
Menschen immer offen und respektvoll sein sollte und dass die Wüste ein Gefühl von
Freiheit vermittelt. So ließen sich meine Jungs oft von ihrer Neugier treiben: Immer wieder
wollten sie sehen, was hinter dem nächsten Hügel oder dem nächsten Berg liegt. Jede
Wüstenreise war für Aaron und Dirk eine große Freude, denn ständig wurden sie von et-
was Neuem überrascht, und der Geographieunterricht aus der Schule wurde zur sinnlichen
Erfahrung: Sie rochen an Pflanzen, schmeckten Fladenbrot, Kamelmilch und exotische
Gewürze, befühlten den Sand und die spindeldürren Beine der Kamele, sahen traumhafte
Sonnenuntergänge und horchten in die Stille hinaus, eine Stille, die sie noch nie zuvor so
intensiv wahrgenommen hatten. All ihre Sinne schärften sich neu: Es war, als würden sie
ganz anders sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen.
Was haben Aaron und Dirk in den kargen Landschaften der Einöde und unter Nomaden
nicht alles gelernt: Trittsicher und gewandt können sie sich durch Sand, Steine und
Dornengestrüpp bewegen. Ohne jede Hilfe sind sie imstande, in den Sattel eines Kamels
zu steigen, auf Dromedaren zu reiten und durch unterschiedliches Zungenschnalzen das
Schritttempo der Tiere zu bestimmen. Beduinen haben ihnen gezeigt, wie man aus Mehl,
Wasser und Salz einen Brotteig knetet und zu einem Fladen formt, der in heißer Holzasche
gebacken wird. Sie haben mitbekommen, dass das Essen mit den Fingern einen Sinn hat,
denn durch die Berührung der Speisen soll verhindert werden, dass zu heiß gegessen wird.
Auch den Chech, jenes meterlange Turbantuch aus Baumwolle, das vor Sonne, Wind und
Fliegen schützt, können sie sich wie ein Beduine um den Kopf wickeln. Auch wissen sie
mehr denn je ein kühles Glas Wasser zu schätzen und haben erlebt, wie herrlich lehm-
farbene Brühe aus einem Wasserloch schmeckt, wenn es nichts anderes Trinkbares gibt.
Zudem haben sie im grenzenlosen Sandmeer ihre eigene Winzigkeit wahrgenommen,
haben sich über Hitze, Durst oder Staub nie beklagt und sogar Muskelkater, Schulter-
und Rückenschmerzen stoisch weggesteckt. In der Auseinandersetzung mit sich und einer
völlig andersartigen Welt, wo gewohnte Sicherheiten nicht gelten, haben sie Fähigkeiten
erkannt und erprobt, die sie zuvor nicht einmal erahnten.
Und dann war da noch der Kontakt zu einer anderen Religion. Immer wieder sahen
Aaron und Dirk gläubige Menschen, die auf einem kleinen Teppich knieten und sich betend
gen Mekka verbeugten. Aufmerksam saugten meine Söhne alles Gesehene auf. Hin und
wieder auch ein Vergleich: Da der Islam, hier das Christentum. Gott, Glaube, Allah. Wo
sind die Unterschiede? Was ist gleich? Und: Gibt der Glaube dem Leben Sinn? Unzählige
Fragen, die Aaron und Dirk auf der Seele brannten. Sinnfragen, die in der Leere der Wüste
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