Travel Reference
In-Depth Information
überlegt, ob so eine Reise überhaupt Sinn machte. Doch von einigen kurzen Phasen des
Zweifelns abgesehen, waren wir uns bald einig, dass das Unterwegssein in einer Wüste
für die Kinder eine wunderbare »Lebensschule« ist. Dort geht es um so viele Dinge, die
zum Sinn des Lebens beitragen: Hilfsbereitschaft, Geduld, Zähigkeit, Unabhängigkeit, De-
mut, Dankbarkeit und Achtsamkeit gegenüber anderen. Zudem sind meine Frau und ich der
Meinung: Wer immer auf Nummer sicher geht, wird niemals außergewöhnliche Erlebnisse
und Erfahrungen machen.
Gleichzeitig muss ich einräumen, dass mögliche Lehren in der Wüste nicht automatisch
erfolgen. Nichts kann in der Wüste an Erfahrungswerten eins zu eins übertragen werden.
Es kommt immer auf den jeweiligen Menschen und die jeweilige Situation an. So geht
zum Beispiel jeder mit den Gefahren der Wüste völlig anders um. Daher ist es wichtig,
sein Kind schon vor der Reise mit wichtigen Informationen und Hinweisen auszustatten.
Kinder müssen (ebenso wie wir Erwachsene) wissen, wie man sich im archaischen Natur-
großraum Wüste zu verhalten hat. Sie müssen die vielfältigen Gefahren (Schlangen, Skor-
pione, Sandstürme) kennen, damit sie begreifen, dass die Wüste zwar wunderschön, aber
auch eine lebensfeindliche Welt ist, in der Vorsicht und Wachsamkeit oberste Gebote sind.
Als es schließlich so weit war, dass Dirk und Aaron im Alter von acht und vierzehn
Jahren auf ganz unterschiedlichen Touren das Land meiner Sehnsucht kennenlernten,
fanden beide sehr schnell heraus, dass sie wilde und unberührte Landschaften ebenso mö-
gen wie Abenteuer und Entdeckungen. Beide hatten keinerlei Probleme, wochenlang ohne
viel Komfort zurechtzukommen - ohne fließendes Wasser, ohne Klospülung, Fernsehen,
Computerspiele und Internet. Im Gegenteil: Wann immer sie am frühen Morgen - zwis-
chen fünf und sieben - aus dem Schlafsack krochen, waren sie guter Laune, was sie wohl
den Beduinen abguckten. Ohne zu quengeln, nahmen sie sich einen Becher mit Wasser, das
zum Waschen und Zähneputzen reichen musste. Dann gab es Frühstück: süßen Tee, Fladen-
brot, Marmelade, Schmierkäse, dicke Bohnen und Tomaten. Anschließend bauten wir die
Zelte ab, verstauten das Gepäck in Packsäcken und beluden die Kamele.
Im Tempo der Dromedare, vier oder fünf Kilometer pro Stunde, zogen wir dann Tag für
Tag durch Landschaften, die wie urzeitliche Schöpfungsbilder wirkten. Dabei versuchte ich
mit verschiedenen Sätzen das Selbstbewusstsein meiner Söhne zu stärken: »Das schaffst
du schon! Das traue ich dir zu! Das machst du richtig gut!« Und wenn ich merkte, dass
Aaron oder Dirk eine Pause brauchten, sah ich mich nach einem Lagerplatz um, suchte
Bäume, Akazien, Tamarisken, die Schatten spendeten. Denn die Tagesform eines Kindes
ist sehr unterschiedlich, und es macht keinen Sinn, auf Teufel komm raus eine Wegstrecke
durchzuziehen, nur weil man sie sich am frühen Morgen vorgenommen hat.
Search WWH ::




Custom Search