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In großer Eile hievte ich die Lasten von meinen beiden Kamelen und stapelte das Gepäck
in Form eines Hufeisens gegen den Wind. Dann kniete ich mich in die schützende Bucht,
drängte mich an die Rücken der Kamelstuten, die mir ein Schutzwall gegen den fauchenden
Wind und die heranstürmenden Sandmassen waren. Um den Kopf hatte ich ein langes Turb-
antuch gewickelt. Mund und Nase schützte ein wassergetränktes Tuch, während die Augen
mit einer eng anliegenden Gletscherbrille bedeckt waren.
Kurz darauf vernahm ich ein anschwellendes Tosen wie bei einer langsam näherrollenden
Brandung, während ein Regen beißender Sandkörner auf meine Tiere und mich niederging.
»Ruhig, ganz ruhig!«, flüsterte ich in das Fell der Kamele, während die Luft von Knistern,
Rauschen und Rieseln erfüllt war. Doch die Tiere schienen keinen Zuspruch zu brauchen.
Stoisch hockten sie da und käuten wieder. Grünlich strudelte der Mageninhalt aus ihren
Mäulern. Ein Gestank wie Gülle, den ich aber kaum wahrnahm, denn unentwegt schossen
Staubwogen und Sandkaskaden wie Gischt über das Gepäck und die Kamelrücken.
Sandkörner, die in Mund, Nase, Ohren und kleinste Kleideröffnungen drangen. Sandkörner,
die wie Nadelstiche auf der Haut brannten.
Land unter. Und ich konnte nichts anderes tun als im Windschatten meiner Kamele dalie-
gen und hoffen, dass das wilde Toben bald nachließ. Doch das vielstimmige Brausen, Heu-
len und Pfeifen schwoll immer mehr zu einem Donnern an, das die Kamele mit Gebrüll
untermalten, wobei sich ein kindskopfgroßer Hautsack seitlich aus dem Maul stülpte. Sch-
ließlich stieß auch ich einen wilden Schrei aus. Ein enthusiastisches Anbrüllen gegen den
Sturm, gegen die flatternde Angst. Einmal, zweimal, dann mehrfach. Völlig übergeschnappt
und abgedreht. Denn irgendwie liebe ich Stürme, die mir alles abverlangen und mich auf
einen einzigen Wunsch reduzieren - unbeschadet davonzukommen.
Seit mehr als zwei Wochen befand ich mich im Norden Chinas in der Wüste Badain Jaran.
Mit 47 100 Quadratkilometern ist es die drittgrößte Wüste im Reich der Mitte. Die Na-
mensgebung dieser Einöde ist bis heute nicht eindeutig geklärt: So wird diese Wüste auch
Alashan-Gobi genannt, zählt sie doch zum Naturgroßraum der Wüste Gobi. Schon der russ-
ische Forscher Nikolai Prschewalski (1839-1888), der vor weit mehr als 100 Jahren durch
die Wüsten Asiens reiste, hatte von dem Landstrich Alashan gehört, einer großen Ebene,
die er für den Grund eines ausgedehnten Sees oder Meeres hielt. Riesige Salztonflächen und
Salzseen, die hier auch heute noch zu finden sind, bestätigen diese Vermutung.
Mit zwei Kamelen war ich zu Beginn der neunziger Jahre unterwegs in die Innere Mon-
golei. Mit ihren knapp 1,2 Millionen Quadratkilometern ist sie eine der größten Provinzen
Chinas mit dem Status einer autonomen Region. Zur einen Hälfte ist sie Wüste, zur an-
dern Weideland. Bewohnt wird sie von etwa 19 Millionen Menschen, von denen 16 Million-
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