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Was die Kamele in ihren schwergewichtigen Lastkörben trugen, habe ich nie erfahren. Ver-
mutlich handelte es sich um Werkzeug, Kleidung und Saatgut aus Ägypten. Alles Waren,
die im Sudan nur schwer zu bekommen waren und die zwei Tage lang mit einem klapprigen
Dampfschiff über den großen Nassersee von Assuan nach Wadi Halfa geschippert waren,
jenem Grenzort zwischen Ägypten und dem Sudan, von dem aus wir zum Marsch durch die
Wüste aufbrachen.
Lebensmittel steckten damals jedenfalls nicht in den großen Lastkörben, denn als uns
nach vier Tagen die Vorräte in der Nubischen Wüste ausgingen und sich ein nagendes Hun-
gergefühl bemerkbar machte, hätten wir dieses fraglos gestillt, wenn in den Gepäcktaschen
der Kamele etwas Essbares gewesen wäre. Jeder der Nubier - und auch ich - hatte sich beim
Provianteinkauf auf den anderen verlassen. Zum Glück schwappte ausreichend Wasser in
den Kanistern. Doch das Gefühl des Hungers begleitete uns sechs Tage lang.
Sechs Tage, in denen die Nubier in gleichmäßigem Tempo voranschritten und dabei leise
Lieder sangen, um ihren Hunger zu verscheuchen. Bei mir hingegen verkrampfte sich nach
drei Tagen der Magen, heftige Schmerzen pochten in meinem Kopf, und auch die Beine
wurden sichtlich schwerer und schwächer. Selbst nachts raubte mir der Wunsch nach etwas
Essbarem den Schlaf. Ich war froh, als wir schließlich unser Ziel erreichten und ich etwas
Hirsebrei und einige Melonenscheiben zu mir nehmen konnte. Ein wunderbarer Augenblick,
wenn man nach längerer Entbehrung endlich etwas zu essen hat!
Seit damals weiß ich, dass der Hunger gelegentlich zum Nomadendasein und Wüsten-
wandern gehört. Auch habe ich seit damals viele bedrückende Zerrbilder des Hungers in den
kargen Regionen der Erde gesehen. Nie werde ich vergessen, wie in Timbuktu, in der Südsa-
hara, ein paar ausgemergelte Jungen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, einem alten, halb-
nackten Mann eine Plastikschale mit Reiskörnern und Brotkrumen abjagten. Als die Schale
dabei zu Boden fiel, knieten sich die Kinder auf allen vieren in den Staub und verschlangen
gierig, was sie greifen konnten: ein bisschen Brot, etwas Mehl - und viel Sand.
Solche Erlebnisse haben meine Essgewohnheiten gleich zu Beginn meiner Wüsten-
begeisterung verändert, sodass ich mir als Erstes Bescheidenheit verordnete, als ich von
den Sorgen und Nöten vieler Nomaden erfuhr. Zudem passte ich mich im afrikanisch-ar-
abischen Sprachraum der Nomadenküche an: Morgens süßen Tee mit Hirsebrei, Fladenbrot,
Datteln, Schmierkäse und Marmelade. Mittags eine Handvoll Hartkeks und einige Gläser
Tee. Abends ein Eintopfgericht aus Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Paprika und Zucchini.
Dazu allerlei Gewürze und gelegentlich Fata , gebratenes Lammfleisch.
Neben der Bedürfnislosigkeit zahlreicher Wüstenvölker, die mich stark prägte, erfuhr ich
im Laufe der Zeit, dass die Tuareg wie auch die Beduinen seit Generationen eine Art von
»Wüsten-Know-how« überliefern, das es ihnen auf langen Karawanenrouten ermöglicht,
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