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rosa vom letzten Licht. Der Wind streicht sanft durchs Cockpit. Unsere Fußspuren am
Strand sind wieder vom Hochwasser geglättet. Bevor die Sonne ganz versinkt, dringt sie
noch einmal als rote Scheibe durch die Wolken am Horizont. Es wird Knall auf Fall dunkel.
Tee. Das Wasser für den Tee nehme ich aus dem Kanister. Es schmeckt besser als aus
dem Tank. Kocher vorheizen, auf Druck bringen. Kochen lassen. Aufbrühen in unserer
Aluteekanne. Sie hält die Hitze besser. Dazu gibt es Cracker mit Käse aus der Dose oder
Erdnussbutter. Beim Ausspülen des Teekessels glüht die Bucht. Meeresleuchten.
Ganz andere Probleme stellten sich bei meiner Nonstop-Reise im Jahr 2000. Wer sich auf
solch eine extreme Fahrt begibt, sollte gut planen können. Ich betrachtete mich damals als
erfahrenen Logistiker, denn nie war ernährungstechnisch etwas schiefgegangen. Aber dies-
mal sollte ich mich täuschen.
Als ich einen wahren Berg an Lebensmitteln an Bord verstaute, schien es mir unvorstell-
bar, dass sie nicht ausreichen würden. Und doch hatte ich zu wenig gebunkert. Kälte und
Einsätze an Deck, Tag und Nacht, forderten Kraft und Energie. Nach rund drei Monaten auf
See sah ich mich gezwungen zu rationieren. Andernfalls hätte ich die Fahrt im letzten Drit-
tel wegen Proviantmangel aufgeben müssen. Daher gab es nun anstelle von 200 Gramm
Spaghetti nur noch die Hälfte. Wie überhaupt die Portionen generell kleiner ausfielen. Zu
klein.
Ob ich wollte oder nicht: Fortan drängte sich der Gedanke ans Essen ständig in den
Vordergrund. Wie viel besser würde ich mich jetzt fühlen, hätte ich nur 100 Mark mehr aus-
gegeben! Für ein bisschen mehr Schokolade, Haferflocken, Butterkeks, Dörrobst, Brot in
Dosen, Knäckebrot. Es lag ja nicht am Geld. Ich wollte schlichtweg mein Boot nicht über-
laden und die Stauräume mit Überflüssigem vollstopfen. Zudem hatte ich auf meiner ersten
Nonstop-Reise viel zu viel Nahrung an Bord gehabt. Das sollte mir nicht wieder passieren.
Glücklicherweise hatte ich bei meinen Einkäufen auf Qualität geachtet. Geschmack und
Nährwert meiner Vorräte taten meinem Körper gut. Wenn man sich Hunderte von Ta-
gen allein auf See befindet, ist Essen immens wichtig für die Stabilität der Psyche. Essen
sorgt dafür, Stimmungen besser in den Griff zu kriegen. Man ist deutlich entspannter,
aufreibende Erlebnisse sind leichter zu verkraften. Schließlich war ich allein, es gab keine
aktuelle Zeitung, die mich ablenken konnte, kein Fernsehen, keine Freunde, keine Kneipe,
um sich abzureagieren. Daher galt der Grundsatz: Wenn man gut isst, fühlt man sich auch
gut.
Essen ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Nur Bücherlesen kommt dem gleich - eben
weil man dann nicht nur an Segeln, an Meilen und an Wetter denkt, sondern auf total an-
dere Gedanken kommt.
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