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Autonomiestatus, den die irakischen Kurden mittlerweile erreichen konnten, nicht mehr als
ein Teilerfolg auf einem langen Weg zu einem eigenen Staat.
Seit meiner Jugend, als ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke Karl Mays Durchs
wilde Kurdistan las, beflügelt diese Region meine Phantasie. May hat darin die Ausein-
andersetzung der Kurden mit ihrer Umwelt in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts
geschildert.
So kam es, dass ich mir gegen Ende der achtziger Jahre vornahm, mitten durch den
»Wilden Westen« des Nahen Ostens zu ziehen. Vom Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak
bis zum biblischen Berg Ararat (5165 Meter), an dessen Hängen die Arche Noah gestrandet
sein soll. Eine Strecke von etwa 300 Kilometern, die ich zu Fuß bewältigen wollte, nur mit
einem Rucksack auf den Schultern. Kurden in Deutschland, die mir umfangreiche Informa-
tionen und Kontakte vermittelten, hielten mein Vorhaben für gewagt und meinten, dass der
Zeitpunkt meiner Wanderung - aus politischen Gründen - nicht so günstig gewählt war.
Doch wann gab es in Kurdistan schon mal eine Zeit, die frei von Unruhen war?
Begonnen hatte meine Reise in der Hauptstadt Syriens, wo ich mich auf den Spuren von
Karl Mays Romanfiguren Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar bewegte. Ganz ähn-
lich war es mir schon im Sudan, in Ägypten und in Tunesien ergangen, wo ich auf vieles
gestoßen war, was ich aus Karl Mays vor mehr als 100 Jahren erschienenen Büchern
kannte. Die einzigartigen Abenteuer, die er in seinen »Reiseerzählungen« niederschrieb,
machten ihn schließlich nicht nur berühmt, sondern auch zum Markenartikel. Das Problem
war nur: Karl May behauptete, seine Abenteuergeschichten nicht erfunden, sondern tat-
sächlich erlebt zu haben, sodass ihm die Literaturkritik Betrug vorwarf. Eine Schmähung
und Medienschelte, die ich nicht nachvollziehen kann, weil ich Karl Mays schriftstell-
erische Tätigkeit als eine genialische Leistung schöpferischer Phantasie empfinde. Mit be-
sten geographischen Kenntnissen und einem gewaltigen Quellenstudium hat er ein einzig-
artiges Werk geschaffen, das in 42 Sprachen übersetzt wurde und den Vorstellungskosmos
ganzer Generationen prägten.
Vor allem Karl Mays Romane Von Bagdad nach Stambul und Durchs wilde Kurdistan
boten mir reichlich Anregungen, um in den Orient einzutauchen. Meine erste Station war
Damaskus, das einst als eine der schönsten Städte der Welt galt. Syrer erzählen gerne, der
Prophet Mohammed habe sich geweigert, diesen Ort zu betreten, weil jeder Mensch nur
einmal ins Paradies kommen könne. Doch ich konnte hier zunächst wenig Paradiesisches
entdecken. Stattdessen erlebte ich eine ewig lärmende Stadt mit vierspurigen Straßen, blei-
weißen Staubsäulen und einer unübersehbaren Häuserflut, die einem steinernen Zellge-
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