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14. Dezember - 123. Tag
Gischt und Gräue. Graumilchig tobende See. Der Himmel matschgrau. Wie Pulverschnee
zerstäuben die Schaumkronen der Brecher in Lee. Wenn sie das Schiff auf der Luvseite
treffen, knallt es wie Schüsse.
Seit Kap Hoorn fahre ich Kreuzkurs. Für diejenigen, die seemännisch nicht so firm sind:
Dieser Gegen-den-Wind-Kurs ähnelt sehr einer Zickzacknaht. Man segelt von zick nach
zack, und dazwischen finden die Segelmanöver statt. Aber der Kurs bedeutet neben Segel-
arbeit und Kursänderungen auch viel Gischt, Dauerschräglage, Abstemmen, Festhalten bei
allen Arbeiten, und selbst beim Schlafen muss man sich mit Kissen festkeilen. Wie man
das bewerkstelligt, habe ich schnell raus.
Kochen jedoch bleibt ein strategisches Problem. Mit weit gespreizten Beinen, abgestem-
mt gegen die Möbel, hantiere ich vor dem zweiflammigen Petroleumkocher. Eine Hand di-
ent zum Festhalten, die andere zum Rühren in Topf oder Pfanne. Beim Zwiebelschneiden
wird's richtig ernst. Da liege ich praktisch auf der winzigen Anrichte. Ohne Zwiebel gibt's
bei mir auf See kein Essen. Ist das Gericht gekocht, verhole ich mich damit auf den Kajüt-
boden, dem ruhigsten Punkt des Schiffes, umklammere die Schüssel und führe den Mund
vorsichtig zu Gabel oder Löffel. Versuche ich es umgekehrt, landet die heiße Pracht im
Kragen.
Abgesehen von Dauermüdigkeit glaubte ich eigentlich, die Lage im Griff zu haben, als
mich letzte Nacht heulende Böen aus der Koje holten. Ich hastete an Deck, um das Großse-
gel zu reffen, dabei knallte mich eine abrupte Welle in Verbindung mit einer harschen Bö
voll gegen eine Klampe am Großbaum. Dummerweise hatte sich auch noch der Metall-
beschlag meines Sicherheitsgurtes vierkant zu meiner Brust gedreht und die Punktbelast-
ung verschlimmert. Ich sackte am Mast zusammen wie ein Boxer nach einem K.-o.-Schlag.
Die dritte oder vierte Rippe von oben (rechts) ist gebrochen. Ein stechender Schmerz
hielt mich weiter an Deck. Ich wagte nicht das Segel zu bändigen. Harrte der Dinge, bis es
mir kalt wurde und ich mich durchs Luk in die Kajüte schob. Bin schmerzensmüde: Kurz
vor Feuerland hatte ich mir schon den Handrücken aufgeschnitten, die Knöchel sind wund
gescheuert, die Hände aufgerissen, Knie und Ellbogen entzündet.
Das Lachen ist mir wegen der Rippe für die nächsten vierzehn Tage vergangen. Jetzt
muss ich meine Bewegungen völlig neu koordinieren. Muss alles mit links machen,
winschen, mich festhalten, kochen, durchs enge Luk hangeln. Alles ist schmerzhaft, sogar
Liegen in der Koje. Und alles braucht viel mehr Zeit.
Die Fahrt, das sehe ich, wird länger dauern als geplant. Ich habe mich immer für
einen großen Logistiker gehalten, doch jetzt stehe ich vor Proviantproblemen. Ich ahnte
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