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Ja, warum? Jahrelang habe ich davon geträumt, diese größte seglerische Herausforderung
zu bestehen. Jetzt, da ich sie begonnen habe, fühle ich mich kraft- und mutlos. Zehneinhalb
Monate Alleinsein liegen vor mir. Mindestens. Fast ein Jahr ohne menschliche Stimmen,
Berührungen, Teilnahme. »Könnt ihr den Kelch trinken?« Diese Frage von Jesus an seine
Jünger aus dem Matthäusevangelium geht mir nicht aus dem Kopf.
So viele Abschiede habe ich hinter mir, oft vor langen Reisen: vier Aufbrüche zu Weltum-
seglungen, die letzte 1984/85, auch schon nonstop, aber »richtig herum«, mit dem Wind.
Und jedes Mal fällt es mir unendlich schwer, wenn die Menschen, die ich liebe, an Land
zurückbleiben. Die Seele hängt auf halbmast.
Obendrein ist mir schlecht. Kotzelend. Auch zwei Aspirin helfen nicht. Ich weiß, dass
ich nachts höllisch aufpassen muss, weil ich durch ein gefährliches und dicht befahrenes
Seerevier, die Deutsche Bucht, segle: Dort gibt jede Menge Schiffe, Tonnen, Leuchtfeuer,
Stromversetzungen.
Endlich, zur Nacht hin, kommt Wind auf, aber leider aus der falschen Richtung. Direkt
von vorn. Kreuzen muss ich also auch noch. Die Fahrt beginnt schwierig - wie alle
Vorhaben, die sich lohnen.
23. August - 10. Tag
Stahlbaues Wasser, lange Wellen, stetiger Wind. Ich habe Nordsee und Englischen Kanal
geschafft, bin im offenen Atlantik und feiere meine ozeanische Wiedergeburt mit einer
Flasche Bier. Göttlich! Mein Blick wandert über das Meer. Diese Weite, dieses tiefe, reine
Blau mit kleinen weißen, anlaufenden Kämmen. Einfach traumhaftes Segeln gen Süden an
den Kanarischen Inseln vorbei bis südlich der Kapverden. Tage, wie sie nicht klarer sein
können. Mit sechs bis sieben Knoten zerteilt der Bug das Blau, lässt es weiß schäumen. War-
um wird eigentlich aus Blau Weiß?
Es ist schön, an Deck zu sitzen und das gleichmäßige Wiegen des Schiffes in den Wellen
zu spüren. Tage zum Küssen: mild, weich, gewinnend. Die See kann eine großartige Ge-
liebte sein. Dann ist Segeln mehr als Tuch-Hochreißen, Bergen, Trimmen, Einbinden. Ich
bin ein Mensch in unberührter Natur und genieße jede Sekunde. Ja, fabelhaft nach den vielen
Jahren in Ost- und Nordsee mit den ganzen Untiefen-Tonnen, Schiffen, Bohrinseln und Mar-
inas. Ich fühle mich wie jemand, der aus einem Schwimmbecken ins Meer wechselt.
Dass ich den Absprung zu dieser Reise tatsächlich geschafft habe, ist immer noch ein
Wunder. Als ich im Juni meinen Probetörn durch die dänische Südsee machte, glaubte ich
nicht daran. Ich hatte zu viel Respekt vor der verkehrten Route. Monatelange Schräge,
würden das Schiff und ich das bestehen? Auch gab es zu viel an KATHENA NUI zu richten,
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