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das Wort „Terroristen“ erwähnt, aber trotzdem auf einer Straße wie dieser in einen her-
untergekommenen Bus steigen und ihr Leben einem bolivianischen Busfahrer anver-
trauen, der gut 12 Stunden am Stück fährt. Sie würden demselben Mann nicht einmal
ihren Rucksack anvertrauen, damit er ihn über die Straße trägt. Den Bus zu nehmen ist bei
Weitem das Gefährlichste, was die meisten Touristen in Bolivien jemals tun. Wir hatten es
uns allerdings zweimal überlegt. Wir hatten darüber diskutiert, ob es sicherer war, auf dem
Dach eines LKW oder im Inneren eines Busses zu reisen (wir hatten uns schließlich für
den Bus entschieden). Im Bus musste man nicht befürchten, in einer Kurve herunter zu
fallen. Auf dem Dach hatte man allerdings eine hauchdünne Chance, rechtzeitig abzus-
pringen, bevor der Bus in den Abgrund stürzte. Und das war durchaus möglich. Jede
Kurve war mit Kreuzen markiert - die man scherzhaft als „bolivianische Warnschilder“
bezeichnete: Sie zeugten von vergangenen Katastrophen. Tief unten erblickten wir gele-
gentlich stählerne Kadaver, die über die Felsen verstreut lagen. Andere Passagiere hoben
eifrig die Wracks hervor.
„Letzte Woche sind hier zwei LKW hinabgestürzt“, sagte der Mann neben uns.
Wenigstens war es sicherer, bergauf zu fahren als bergab. Damit die Fahrer nicht ständig
am Berg anfahren mussten, hatte der Verkehr bergauf Vorfahrt und durfte in der Kurve die
Innenspur nehmen (obwohl das in Bolivien theoretisch die falsche Straßenseite ist). Das
ist bedeutsam, denn die Straße ist ungeteert und eigentlich nur breit genug für einspurigen
Verkehr. Um den Aufwärtsverkehr passieren zu lassen, mussten abwärts fahrende
Fahrzeuge bis knapp an den bröckelnden Außenrand fahren. Manchmal bröckelte der
Rand buchstäblich und riss den LKW in die Tiefe. Manchmal verschätzte sich auch ein
Fahrer um einen Zentimeter und fuhr direkt über den Rand.
Ein weiterer Vorteil beim Aufwärtsfahren war, dass der Fahrer nicht so schnell fahren
konnte. Denn trotz des Risikos fährt jeder immer so schnell wie möglich. Man braust die
kurvige Bahn hinunter und steigt in der Kurve in die Bremsen, um dann frontal auf den
Gegenverkehr zuzurasen. Auf dem Gipfel ist eine Reihe Hunde neben der Straße an-
gekettet. Traditionell werfen ihnen die Fahrer etwas Fleisch hin, bevor sie losfahren, um
den Berggöttern ein Opfer zu bringen. Sicherheitshalber bekreuzigen sie sich auch und
murmeln ein Gebet zur Jungfrau Maria, Jesus, ein paar heiligen und allen anderen, die
zuhören könnten. Sie bekleben ihren Bus mit Stickern, die Gott um Schutz bitten, und
dekorieren die Rückseite des Busses mit Airbrush-Gemälden von berühmten biblischen
Szenen. Ich bin mir sicher, dass diese Vorkehrungen sind sehr vernünftig sind. Aber bei
Weitem nicht so vernünftig wie langsamer zu fahren.
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