Travel Reference
In-Depth Information
Wir hörten, wie die Frau mit ihren Schlüsseln herumfummelte. Dann drehte sich der
Schlüssel im Schloss, und die Tür schwang auf. Durch unser Schlafzimmerfenster sahen
wir, wie ein hoffnungslos betrunkener Bolivianer mit dem Gesicht nach unten durch den
Eingang flach auf den Boden vor die Füße der Wirtin plumpste. Er stand schwankend
wieder auf und stapfte in sein Zimmer, während er sich lauthals beklagte. Die heldenhafte
Wirtin aber war ihrer Lonely-Planet- Reklame gerecht geworden: Da stand, sie würde ein-
en Gast „auch nach der Sperrstunde gern hereinlassen“. Melissa stand auf, um Mark und
das Koks zu suchen.
Einkaufen
Am nächsten Tag war Einkaufen angesagt. Unser (oder zumindest mein) Hauptgrund,
nach Bolivien zu kommen, bestand darin, im schroffen Cordillera Real zu trekken. Eine
fünftägige Wanderung verläuft von Milluni, 30 Meilen östlich von La Paz, über zwei
5000-Meter-Pässe bis in eine Stadt namens Coroico hinunter. Der Weg passiert eine un-
glaubliche Vielfalt an Landschaften und fällt über 3000 Höhenmeter von den Gletschern
im Hochgebirge über Almen und Nebelwälder bis in die tropische Yungas-Region bei
Coroico ab. Fast der gesamte Marsch geht bergab. Im Grunde ist es ein Abstieg von der
Wasserscheide über die östlichen Hänge der Anden bis hinab zum Rand des Amazonasge-
bietes.
„Stell dir vor, was für stramme Schenkel ich haben werde“, grinste Melissa.
Mark war nicht ganz so begeistert. Wenn er zwischen einer Ge- birgswanderung und einer
Tüte Kokain wählen musste, war der Fall klar. Er sagte nichts.
Sicherheitshalber wechselten wir das Hotel, ohne Jenny etwas zu sagen. Das Hotel Torino
war direkt im Stadtzentrum, in der Straße hinter dem Präsidentenpalast. Wie beim Gran
Casino in Quito handelte es sich auch hier um einen Klassiker für Rucksacktouristen. Es
war ein altes Gebäude, dessen vier Stockwerke auf einen Innenhof hinausführten. Der
Innenhof war ausgefüllt von einem Cafe, das direkt aus Mitteleuropa stammen könnte. Es
hatte einen schwarz-weiß gefliesten Boden, anspruchsvolle schmiedeeiserne Tische und
Topfpflanzen, die um einen eleganten Springbrunnen in der Mitte gruppiert waren. In ein-
er Ecke spielte ein Quartett in Abendkleidung Kammermusik. Dieses vornehme Cafe, das
von bolivianischen Geschäftsleuten und schmuddeligen Rucksacktouristen bevölkert war,
war mit einem durchsichtigen Plastikdach überdacht. Darüber erstreckte sich ein
Labyrinth aus Korridoren und unerwarteten Treppen durch einen Komplex, der einmal aus
Search WWH ::




Custom Search