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die nicht älter als vierzehn oder fünfzehn waren, liefen mit Säcken, die halb so schwer war-
en, wie sie selbst, die lockeren Hänge hinauf.
„Ich habe acht Jahre in der Mine gearbeitet. Jetzt arbeite ich hier seit zwei Jahren als Führer
- ich bin jeden Tag in der Mine. Vielleicht habe ich auch eine Staublunge. Vielleicht werde
ich auch sterben“, sinnierte er finster. „Wo sind die ganzen Minenarbeiter?“, beklagte
sich einer der Deutschen. „Sie haben uns versprochen, dass mehr Minenarbeiter hier sein
würden.“
„Gestern sie haben etwas Silber gefunden. Also sie haben letzte Nacht gefeiert und viel
getrunken. Deshalb heute arbeiten nicht viele“, erklärte Julio gereizt. „Sie arbeiten nicht
den Touristen zuliebe. Ist das OK?“ Der Deutsche murmelte ja, es sei OK. Julio blieb vor
einem Gesicht stehen, das aus dem Fels gehauen worden war. Es war mit farbigen Bändern
aus Krepppapier übersät. Eine Reihe Zigaretten balancierte in seinem Mund. Das, sagte
Julio, sei El Tio. Wörtlich bedeutet das „Onkel“, aber seine Hörner verraten seine wahre
Persönlichkeit. Der Teufel. Der Besitzer des Cerro selbst. Das Papier und die Zigaretten
waren symbolische Gaben der Minenarbeiter, die um Schutz und Glück baten. Aber dies
war ein Teufel mit den scharfen Zügen und dem Ziegenbart eines Conquistadore, eines
Europäers. „Für die Minenarbeiter“, erklärte Julio, „gehören diese Minen dem Teufel, und
der Teufel ist ein Europäer.“ Er machte eine Pause. „Wir Minenarbeiter hassen Europäer“,
ergänzte er.
Die offenen Adern Lateinamerikas
Die Eroberung hallt durch die Jahrhunderte. Sie änderte al es: Das heutige Lateinamerika
kann nur im Licht dieses einen verheerenden, epochemachenden Ereignisses verstanden
werden. Die Eroberung ersetzte eine selbstgenügsame landwirtschaftliche Ökonomie
durch eine, die auf Ausbeutung basierte. Potosí war nur der Anfang. Als nächstes kam der
Zucker - vor der Eroberung ein seltener und teurer Rohstoff in Europa. Zucker erzeugte
den Sklavenhandel und erschöpfte den Boden der Karibik und Nordostbrasiliens. Andere
Monokulturen folgten: Kaffee, Baumwolle, Bananen. Cacao in Venezuela. Rinder in Ar-
gentinien und Uruguay. Gummi im Brasilien des 19. Jahrhunderts.
Dann gab es Mineralien: Gold aus Minas Gerais in Brasilien, Nitrate aus Chiles Atacama-
Wüste, Zinn aus Oruro in Bolivien, mexikanisches Silber, brasilianisches Eisen, chilen-
isches Kupfer. Heute zerstört das Öl den Amazonas. Jeder dieser Rohstoffe fütterte die
Nachfrage einer weit entfernten Wirtschaft anstel e der hungrigen heimischen Bäuche.
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