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erzählen, die sich zu verlorenen Städten durchschlagen, mutete ich Melissa Vorträge über
den Preis peruanischen Nitrats auf den Rohstoffmärkten des 19. Jahrhunderts zu. Sie kon-
nte damit umgehen. Politik hatte mich schon immer interessiert. Das bestätigte sich, als ich
einem ehemaligen Mitschüler der Grundschule begegnete, den ich mit 10 zuletzt gesehen
hatte. „Bist du immer noch ein Kommunist?“, fragte er. War ich mit 10 Jahren schon ein
Kommunist gewesen? In Bezug auf seine Frage war ich mir nicht ganz sicher, aber ich hatte
immerhin drei Jahre in der vorgeblich sozialistischen Druckerei-Kooperative in Hackney
verbracht.
Neben unserer eigenen Zeitung hatten wir Flugblätter für Mieterorganisationen, Schwule,
Grüne, Anarchisten, schwule grüne Anarchisten, Hausbesetzer, Hexen, lesbische grüne
Hexen,
chassidische
Juden
und
so
ziemlich
jede
hier
vertretene
ethnische
Gruppe
produziert. 15
---15 In Hackney gab es natürlich jede Menge davon. Im Rahmen einer Studie fand man z.B. an einer örtlichen Schule
170 verschiedene Sprachen unter den Schülern.
Ich saß in endlosen „Gemeindeversammlungen“, in denen die chassidischen Juden totales
Chaos stifteten, indem sie Homosexualität als „unnatürlich“ brandmarkten. Schließlich
gaben wir den Kampf auf und redeten nicht mehr miteinander.
Ich verbrachte die nächsten paar Jahre mit eintönigen Jobs und wartete auf etwas anderes,
dem ich mich verschreiben konnte. Aber da es nur noch um Steuersenkungen und Privatis-
ierungen ging, war Großbritannien in den frühen Neunzigern kein Ort mehr für Idealisten.
Wir hatten den kalten Krieg gewonnen und verloren. Der Kommunismus war tot. Ein idi-
otisches Wahlrecht und die Feigheit der Labour Party sorgten dafür, dass grüne Themen
keine Rolle spielten. Die Ecstasy/Rave Szene schien Großbritanniens einzige dynamische
Bewegung zu sein, schien aber wenig zu bieten - außer dass man für ein oder zwei Nächte
bis zur Bewusstlosigkeit tanzte. Was völlig OK war. Aber es waren verzweifelte Zeiten. Es
fehlte etwas.
Meine Freunde machten Karriere, hatten feste Partner, Häuser und Familien. Gerade als
alle Leute wussten, dass wir heiraten wollten, trennte ich mich von meiner langjährigen
Freundin. Dann heiratete sie ebenfalls. Ich fühlte mich einsam. Ich hielt immer noch mich
selbst für normal und die Welt für verrückt - obwohl mir zu meiner Bestürzung allmählich
klar wurde, dass meine Freunde das Gegenteil dachten (und zwar in beiderlei Hinsicht).
Mich persönlich belastete das immer noch nicht. Ich kannte die Wahrheit. Unsere Welt -
unsere westliche Welt - war verrückt. Ich konnte mich nicht für eine Karriere und eine
Rente begeistern. Ich brauchte irgendeinen Funken, einen Kreuzzug, ein Ideal. Überall
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