Travel Reference
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zog Mark wieder nach Kent um, um von den „trendigen Nordlondonern“ wegzukommen.
Ich zog mit einer Truppe Musikern zusammen in ein Haus in Finsbury Park.
Eines Tages ging ich zu meiner Arbeit bei der TV-Zeitschrift, nachdem ich mich eine
Woche krank gemeldet hatte. Ich hatte die typische „Panda-Bär-Bräunung“, die man beim
Schifahren mit Sonnenbrille in den französischen Alpen bekommt. Ich hatte meinen Plan
für idiotensicher gehalten. Öffentliche Telefone in Frankreich haben keinen „Klick“, an
dem man sie von einem Privattelefon unterscheiden kann. Ich hatte einen Schal ums
Gesicht gewickelt, um eine Bräunung zu vermeiden. Meine einzige Sorge war das gele-
gentliche Rufen von Schifahrern, die an der Telefonzelle vorbeikamen. Es war aber abartig
heiß, sodass ich durch den Schal hindurch braun wurde. Mein Herausgeber stellte klar, dass
eine Beförderung nicht zu erwarten wäre. Es wurde Zeit für die lange Reise, die ich mir
immer versprochen hatte.
Am Tag vor meiner Abreise starb jemand an einem Messerstich durchs Auge, am hell-
lichten Mittag auf einem belebten Bahnsteig der U-Bahnstation von Finsbury, gerade mal
400 Meter von meiner Haustür entfernt. Der Täter war ein Patient der Psychiatrie gewesen,
den man im Rahmen der Initiative der konservativen Regierung für Geisteskranke („Pflege
in der Gemeinde“) hinausgeworfen hatte. (Die Initiative war eine allzu offensichtliche
Tarnung für Kostensenkungen im Gesundheitsbereich.) An diesem Morgen hatte er ver-
gessen, seine Medizin zu nehmen. Später war er über seine eigene Tat entsetzt. Wenn ich
jemals Zweifel an meinen Reiseplänen gehabt hatte, waren sie damit endgültig ausger-
äumt. Südamerika konnte kaum heruntergekommener und gefährlicher sein als London,
und wenn irgendein Wahnsinniger mich mit einem 25 cm langen Messer durchs Auge
stechen würde, wollte ich vorher wenigstens noch etwas von der Welt sehen.
Inner City Blues (die graue Politik)
Reiseschriftsteller packen gern einen längst vergessenen Band eines unbedeutenden
Forschers aus dem 19. Jahrhundert ein, um bei passender Gelegenheit daraus zu zitieren.
Ich habe schon viele Bücher über Südamerika gelesen: Vor, während und nach meiner
Reise. Ich las Bücher über die Rolle des Urins in der Symbolik der amerikanischen Ure-
inwohner und andere über den rituellen Gebrauch halluzinogener Einläufe im Amazonas-
gebiet. (Halluzinogene Einläufe? Keine schlechte Idee!) Aber das Buch, das ich unterwegs
bei mir hatte, war Eduardo Galeanos neomarxistischer 93 der gringo trail Klassiker, Open
Veins of Latin America („die offenen Adern Lateinamerikas“) - ein Buch, das zugleich
grausam, akademisch und poetisch ist. Anstatt von viktorianischen Harrison Fords zu
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