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Eine Wanderung auf dem Paramo
Melissa und ich ließen Mark im Hotel zurück, wo er mit einem israelischen Mädchen flir-
tete, und machten eine kleine Wanderung auf dem Páramo, Ecuadors grasbewachsenem
Hochland-Moor. Wir nahmen ein Taxi zu einigen Seen, den „Lagunas Mojanda“. Obwohl
es dreißig Meilen nördlich des Äquators lag, erinnerte mich das Moor an die schottischen
Highlands: Harte Gräser und farnartige Moose überwucherten zerklüftete Berge und
wassergetränkte Sümpfe. Ein kühler Morgennebel hing über den Seen.
„Und ich dachte, Ecuador wäre in den Tropen“, witzelte Melissa. Wir planten, eine Wan-
derung zu einer Ruine namens Cochasquí zu unternehmen, die noch aus der Zeit vor
der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus stammte. Sie lag rund drei Stunden entfernt;
von dort aus würden wir einen Bus zurück nehmen. Aber in 4000 Metern Höhe wurde
schon ein Aufstieg von 10 Minuten zu einer einstündigen Plackerei: Bei jedem Schritt
rangen wir buchstäblich um Atem. Das Gras entpuppte sich als hüfthoch und äußerst
stachelig. Nach vier Stunden musste ich eingestehen, dass wir uns verlaufen hatten. Eine
Anzahl angedeuteter Pfade verliefen kreuz und quer durch ein breites, sumpfiges Tal. Wir
entschieden uns für einen davon und schleppten uns weiter in der Hoffnung, dass er uns ir-
gendwohin führen würde, bis wir ein einsames Haus an einem bewaldeten Bach erreichten.
Ein alter Mann lehnte an einem hölzernen Gatter und beäugte uns misstrauisch.
„Ist das der Weg nach Cochasquí?“, fragte ich. „Si“ , nickte der alte Mann weise. Also war-
en wir wenigstens auf dem richtigen Weg. „Wie weit ist es nach Cochasquí?“ „Si.“ „Haben
Sie eine Uhr?“ „Si.“ „Wie spät ist es, bitte?“ „Si.“ „Ist das der Weg nach Otavalo?“
Der alte Mann schwieg eine Weile, um diese Frage zu überdenken, und nickte dann wieder.
Ich gab auf. Wir marschierten weiter. Nach einer Weile kamen uns drei Männer und ein
Junge auf unserem Pfad entgegen, wahrscheinlich auf dem Rückweg von der Feldarbeit.
Alle hatten Macheten. Ich war es nicht gewohnt, Leuten zu begegnen, die etwas so Großes,
Scharfes und Tödliches wie eine Machete bei sich trugen. In London passiert mir das eher
selten.
Melissa war es auch nicht gewohnt. „Schnell, gib mir dein Taschenmesser“, forderte sie.
„Was nützt ein Taschenmesser gegen drei Männer mit Macheten?“, fragte ich. „Dir passiert
schon nichts. Sie vergewaltigen Frauen, weißt du“, antwortete Melissa. „Gib's mir ein-
fach.“ „Ich verstehe immer noch nicht, was ein Taschenmesser nützen würde“, beharrte ich.
„Es würde mir mehr nützen als du.“
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