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Der Junge lächelte die Frau vielsagend an und machte unter dem Tisch eine Geste mit sein-
er Hand. Es war klar, dass sie etwas Geld hineinlegen musste, um voranzukommen. Die
Frau zischte vor Abscheu, stand auf und ging hinaus. Es wirkte nicht allzu ermutigend. Ich
setzte mich auf ihren Stuhl und begann zu erklären.
„Mein Freund ist ertrunken.“ „Warum sagen Sie mir das?“, fragte er gleichgültig. Er sah
mich eine Minute lang an und versuchte zu entscheiden, ob aus dem schmutzigen Gringo
etwas herauszuholen war, der vor ihm saß. „Weil ich seinen Tod melden möchte“, sagte
ich. Er zuckte mit den Schultern. „Warum?“
Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Weshalb wollte ich überhaupt seinen Tod melden?
Schließlich war er sowieso tot, ob ich es meldete oder nicht. Welchen Unterschied würde
es machen, wenn ich es nicht meldete? Aber man konnte doch nicht einfach so … sterben.
Nicht nach all den Jahren, in denen man Formulare ausgefüllt hatte - Geburtsurkunden,
Schulabschlüsse, Bewerbungen, Führerschein, Bankkonten, Steuerformulare, Hypotheken,
medizinische Anamnesen, Versicherungsformulare. Alles musste festgehalten werden. Ich
wusste einfach, dass ich Marks Tod melden musste. Aber warum?
„In meinem Land müssen wir Todesfälle melden.“ Es war ein halbherziger Versuch. „Und
woher wissen Sie, dass er tot ist?“ „Ich sah, wie er ertrank. „Und wo ist sein Körper?“ „Es
gibt keinen Körper. Er ist nicht gefunden worden.“ „Ohne Körper können Sie seinen Tod
nicht melden. Sie können ihn nur als vermisst melden“, betonte der Gorilla-Junge. Er schi-
en zufrieden mit sich selbst, da er einen Gringo auf einen Denkfehler hingewiesen hatte.
„Dazu müssen Sie zum Büro um die Ecke gehen, unter dem Torbogen.“
Ich erhob mich, um zu gehen. „Einen Augenblick, bitte“, sagte der Gorilla-Bulle. „Ihr Fre-
und. Hatte er irgendwelche … Kreditkarten? Ich ging. Ich befolgte seine Anweisungen und
fand das zweite Büro. „Ich will den Tod meines Freundes melden“, begann ich. „Ah, ja.“
Der Bulle hinter dem Schreibtisch war älter und hatte ein freundlicheres Gesicht. Er sah
mich einen Augenblick mitleidsvoll an und lächelte dann.
„Wir sind aber die Verkehrspolizei. Sie müssen in ein anderes Büro gehen. Sie müssen zur
DAS, der Einwanderungsbehörde, gehen.“
Wenn Mark Einwanderungspapiere braucht, dachte ich, werden es keine kolumbianischen
sein. Ich stellte mir vor, wie der Erzengel Gabriel in einer Uniform, die zwei Nummern
zu klein war, vor dem Himmelstor stand und die Pässe der Toten prüfte. Ich brauchte an-
derthalb Stunden, um das DAS-Büro zu finden, ein schlecht ausgeschildertes Gebäude am
anderen Ende der Stadt. Es war ein modernes Büro mit einem Wartesaal wie in einer Arzt-
praxis. Es dauerte eine Stunde, bis ich an der Reihe war.
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