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dass es diesmal keine Story und kein Entkommen geben würde. Ich hoffte nur, dass die
Zeitspanne zwischen diesem Augenblick und dem Verlust des Bewusstseins kurz gewesen
war. Es war so schnell geschehen - es hatte ihn mitten im Sprung aus seinem kosmischen
Tanz gerissen. Wenigstens das war ein Segen gewesen.
Es gibt wohl schlimmere Arten zu sterben als draußen in der Brandung, wo er noch im Au-
genblick des Todes seine Existenz feierte. Ist es denn besser, erst zu sterben, wenn wir alt
und verbraucht sind und das Leben langsam verebbt, während das kalte Gesicht der Un-
endlichkeit auf uns herabblickt und wir auf das Ende warten? Ich erinnerte mich an meinen
Großvater, der im vorangegangenen Sommer gestorben war. Als er kaum noch reden kon-
nte, flüsterte er: „Wann ist es zu Ende?“
Mein Großvater war 94 gewesen. Sein Tod hatte mich mit einer schrecklichen, kalten
Furcht erfüllt, die ich eine Ewigkeit nicht loswurde. Er war eine wundervolle, starke Per-
sönlichkeit gewesen, hatte ein langes, erfülltes und lohnenswertes Leben geführt und war
bis in die allerletzten Wochen hinein geistig wach und gesund geblieben, voller Begeister-
ung, Übermut und scharfer Intelligenz. Am Ende sah ich ihm zu, wie er, dünn und ver-
braucht, um Erlösung bettelte, auch als die Kraft in seinem Körper sich weigerte, ihn loszu-
lassen. „Wann wird es enden?“, klagte er. Alles, was ich denken konnte, war: „Das ist das
Beste, was wir hoffen dürfen.“ Sein Leben war so lang und erfüllt gewesen, wie man be-
stenfalls hoffen durfte. Und trotzdem endete es unter Schmerzen - und trotzdem zu früh.
Vielleicht hatte Mark Glück gehabt: Nicht allzu jung zu sterben (er wäre in drei Mon-
aten 30 geworden), aber schnell und unerwartet. Mitten im Kampf, sozusagen. Irgendwie
war es der Tod eines Kriegers gewesen, der im Kampf gefallen war, anstatt von Alter und
Krankheit langsam verzehrt zu werden. In Kriegerkulturen war ein Tod im Kampf immer
die einzige ehrbare und wünschenswerte Art zu sterben gewesen. Mark hatte freilich gegen
die Elemente gekämpft - nicht gegen einen menschlichen Gegner. Es war auch ein Kampf
gegen sich selbst gewesen: Er hatte das Risiko gekannt und sich trotzdem gedrängt gefühlt,
es einzugehen. Es war ein wunderschöner Ort zum Sterben. Ein schöner, romantischer Ort,
weit weg von zu Hause. Das war die Karibik - aber nicht die Karibik aus dem Reisekata-
log, wo Touristen an klarem, türkisblauem Wasser Pina Coladas nippen. Sondern das war
ein wildes Piratenmeer, wo die Brecher unbarmherzig den Strand angreifen und das un-
ablässige Brausen der Brandung wie Artillerie auf einem weit entfernten Schlachtfeld don-
nert. Es war der Ozean der spanischen Herrschaft und skrupelloser, mörderischer Freibeu-
ter wie Francis Drake und Captain „Bluebeard“ Morgan. An solch einem Ort hatte der Tod
eine romantische Poesie in sich. Dies war ein elementarer Tod - zurückgerissen in den
Ozean, in die ungezähmte Gebärmutter der Welt.
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