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Helena
Melissa und ich hatten unser Lager unmittelbar hinter dem Strand unter den Kokospalmen
aufgeschlagen. Neben uns lagerten drei englische Jungs - die ich nie weiter gehen sah als
von ihren Hängematten ans Wasser - und Helena.
Helena hatte seit einem Jahr in Kolumbien gelebt und lebte vom Verkauf von Schmuck,
den sie aus Muscheln und Leder machte. Seit sie in Kolumbien angekommen war, war sie
dreimal verhaftet, zweimal von Männern mit Schusswaffen angehalten und zweimal ent-
führt worden. Sie sagte, sie sei einmal mit einem Bus gefahren, der von Guerillas angehal-
ten wurde. Sie hatten alle Passagiere vor dem Bus antreten lassen und ihnen einen Vortrag
über den Kampf des Volkes gehalten. Als der Vortrag beendet war, brachen die Passagiere
in „spontanen“ Applaus aus. Wenn es um die Würdigung der rhetorischen Feinheiten geht,
wirken ein paar Maschinenpistolen wahre Wunder. Dann winkten die Guerillas die Passa-
giere wieder in den Bus zurück. Sie raubten sie nicht einmal aus.
Sie erzählte uns die Geschichte ihrer ersten Entführung. Sie fuhr per Anhalter - was für
ein achtzehnjähriges blondes englisches Mädchen in Kolumbien entweder sehr mutig oder
sehr dumm ist.
Ein Mann mittleren Alters hielt und bot an, sie mitzunehmen. Es schien einigermaßen
ungefährlich zu sein, weil die betagten Eltern des Mannes auf dem Rücksitz saßen. Nach
einer Weile hielt er in einem Dorf und setzte seine Eltern ab; dann zog er plötzlich eine
Pistole und sagte, dass sie tun sollte, was er sagte. Sein Plan war, an die Grenze nach
Venezuela zu fahren. Sie sollte das Auto hinüberfahren, vollbeladen mit Kokain. Er sperrte
sie in sein Haus ein und ging fort, um das Kokain zu besorgen. Aber Helena konnte irgend-
wie seine Autoschlüssel finden und verstecken. Er beschimpfte und bedrohte sie, aber sie
blieb standhaft. Sie sagte, sie würde warten, bis er einschlief, und dann zum Bürgermeister
des Dorfes fahren.
„Geh doch hin“, sagte er. „Der Bürgermeister ist mein Bruder.“ Trotzdem weigerte sie sich,
ihm die Schlüssel zu geben. Nach weiteren Drohungen und Beschimpfungen, jedoch ohne
körperliche Gewalt, beschloss er, sie gehen zu lassen und die ganze Sache abzublasen. Es
war eine typisch kolumbianische Geschichte: Ein Drama aus Angst und Inkompetenz und
eine Farce in einem.
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