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Am nächsten Morgen sahen die Straßen aus wie in einem Kriegsgebiet. Die Metallgitter
an den Läden waren immer noch geschlossen. Die Gehsteige und Straßen waren unter
Plastiktüten und leeren Bierdosen begraben. Zeitungen wurden vom Wind herum geweht.
Penner und Straßenkinder schliefen den Alkohol- und Klebstoffrausch der vergangenen
Nacht aus. Mit anderen Worten, alles ging wieder seinen gewohnten Gang.
Costenos
Die costeños sind warm und freundlich, sie lachen oft und lächeln gern. Aber ich nahm
auch eine gewisse Traurigkeit wahr - als wüssten sie, dass ihr Paradies ein verlorenes
war. So ein wunderschönes Land. Que rico . So reich, so voller Potenzial. Und trotzdem
so ein Durcheinander. Die Indianer der Anden betranken sich ebenfalls bis zur Besin-
nungslosigkeit, um ihr hartes Leben für eine Nacht zu vergessen. Aber wenigstens blieb
ihnen eine gewisse Würde, da sie wussten, wer sie waren und wer sie beraubt hatte. Den
Mestizo -Kolumbianern, die weder ganz europäisch noch ganz indianisch waren, blieb nicht
einmal das.
Sie sind Enteignete und Diebe, Opfer und Täter zugleich. „Ich liebe Kolumbien“, sagte
mir ein deutscher Rucksacktourist im Miramar. „Dieses Land wird gerade erst geboren. Es
ist nicht wie Europa. Europa geht zugrunde; unsere Kultur ist alt. Tot. Hier entsteht et-
was Neues - aus all diesen Kulturen. Die Spanier, die Indianer und die Schwarzen. Hier ist
Leben und Energie. In der Musik und in den Menschen.“
Wir nahmen den Bus und fuhren am toten Mangrovenwald entlang zurück nach Santa
Marta. Diesmal lief eine Art Salsa- Komödie aus den 1960ern auf Video. Es ging um eine
Frau, die tagsüber eine Cellistin und nachts eine wilde Salsareña war; sie trieb sich ständig
in Nachtclubs herum, die von zwielichtigen Latino-Männern mit schlaffen Schnurrbärten,
weitem Revers und blumigen lila Hemden bevölkert waren. Es war wohl der einzige Film,
den wir in Südamerika sahen, in dem niemand getötet wurde. Wir checkten wieder im
El Prado ein - wo wir vom dicken Alberto warm begrüßt wurden, der Melissa in einer
schwitzenden Umarmung an sich drückte.
„Ah, hallo, wunderschön, wunderschön“, seufzte er.
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