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der zweitgrößte Karneval des Kontinents nach dem in Rio de Janeiro. Zwei Stunden reicht-
en aus, um in dem unvermeidlichen Gewaltvideo, das jede Busfahrt in Kolumbien beg-
leitet, ein paar hundert Menschen sterben zu lassen. Aus Langeweile zählte ich sie. Sechzig
Tote vor dem ersten kurzen Dialog.
Die Straße folgte der Küste entlang eines schmalen Landzipfels, der als Isla de Salamanca
bekannt ist: Er trennt eine große Süßwasserlagune, die Ciénaga Grande de Santa Marta,
vom Ozean.
Die Straße hatte die Lagune vom Meer getrennt und dadurch die Mangrovensümpfe ver-
nichtet, die einmal die Küste gesäumt hatten, denn Mangroven brauchen eine Mischung aus
Süß- und Salzwasser. Es war eine Umweltkatastrophe. Anstelle eines lebendigen Ökosys-
tems säumte nun über viele Meilen hinweg eine postapokalyptische Landschaft aus kah-
len, sterbenden Bäumen die Straße. Als wir weiter nach Westen fuhren, ging eine blut-
rote Sonne hinter diesem geisterhaften toten Wald unter, wie in einer Szene aus Mad Max.
Plötzlich ertönte ein lauter Knall wie von einem Gewehrschuss. Die Windschutzscheibe
des Busses explodierte in einem Regen aus Glasscherben. Alle suchten unter ihren Sitzen
Schutz. Der Fahrer blieb heldenhaft auf seinem Sitz und stieg in die Eisen. „Keine Panik“,
lachte er, als wenn das ständig vorkommen würde. „Das ist nur der Wind.“
Starke Windböen vom Ozean hatten die Windschutzscheibe zertrümmert. Der Fahrer und
sein Kumpel schlugen die übrigen Glasreste mit den Fäusten heraus, und wir fuhren weiter.
Barranquilla
Barranquilla ist das Industriezentrum der Nordküste. Es hat keine historischen Wurzeln
wie Santa Marta oder Cartagena. Es ist eher eine kolumbianische Version von Liverpool:
Eine schmutzige, heruntergekommene Stadt im Norden, die angeblich die beste Fußball-
mannschaft (die Junior) sowie die freundlichsten Menschen hat. Obwohl sie kaum mehr als
hundert Jahre alt ist, hat sie bereits bessere Tage gesehen. Der einzige Grund, warum Tour-
isten überhaupt hierher kommen, ist der Karneval, der der verrückteste in ganz Kolumbien
sein soll.
Wenn man uns gesagt hätte, es wäre der verrückteste Karneval in, sagen wir, Belgien, hät-
ten wir uns nicht allzu viel davon versprochen. In Kolumbien herrscht aber ein extrem
harter Wettbewerb. Als wir ankamen, war es allerdings eher ruhig. Die meisten Läden hat-
ten wegen dem bevorstehenden Wochenende früh geschlossen; die Straßen waren leer, das
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