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oder warteten darauf, das Telefon benutzen zu können. Leute unterhielten sich mit dem
Manager oder versammelten sich zu einer Tour zum Tayrona Park. Schlepper und Tour-
istenführer trieben sich herum, denn das Miramar diente als örtliches Touristenbüro: Wenn
man etwas wissen wollte oder jemanden brauchte, der einen irgendwohin führte, kümmerte
sich das Miramar darum.
Mitten in diesem Wirbel von Aktivitäten, im ruhigen Auge des Zyklons, saß der pummelige
Manager des Miramar. In schnellen Zügen spielte er Schach, während er gleichzeitig einen
endlosen Strom von Fragen beantwortete und seinem Personal Anweisungen erteilte. Das
Niveau seines Schachspiels war ebenfalls hoch. Kolumbianer schaffen es, sogar etwas so
gediegenes und verkopftes wie Schach in eine Macho-Selbstdarstellung zu verwandeln.
Die Züge wurden ohne Pausen herausgeschossen. Die Spielsteine wurden mit einer
schwungvollen Handbewegung aufs Brett geknallt. Zuschauer versammelten sich und
äußerten nach jedem Zug murmelnd ihre Zustimmung oder Missbilligung. Die Spieler tax-
ierten sich gegenseitig mit verschlossenen Minen, wie zwei Kämpfer im Ring.
Weiter hinten, im offenen Bereich des Innenhofs, war ein Cafe, das Säfte, Bier und Ome-
lette anbot und The Doors und Bob Marley laufen ließ. Dies war der Ort in der Stadt,
an dem man andere Rucksacktouristen treffen und Reiseerlebnisse austauschen konnte.
Und koksen. Leute verschwanden in den Schlafräumen und kamen mit großen Pupil-
len und laufenden Nasen zurück, während ein eleganter Kolumbianer mit silbernem Haar
beim Haupttor saß und vielsagend seine Nasenflügel weitete, wenn man vorbeikam. Das
Miramar hatte zwei Nachteile: Man konnte unmöglich schlafen, und es war außerdem im-
mer voll. Melissa und ich fanden ein Hotel in der nächsten Straße: Ein einstöckiges Eck-
haus mit abblätternder Farbe, das El Prado hieß. Es hatte nur vier Zimmer, die anscheinend
aus Pappe bestanden, sowie eine ameisenverseuchte Küche. Es hatte eher eine familiäre
Atmosphäre als das Flair eines Hotels. Es wurde von einem alten Mann geführt, der nicht
viel sagte, sowie von einer Katze und Alberto - einem gewaltigen, schwitzenden Jugend-
lichen, der sich in Melissa verliebte und uns wie alte, lange vermisste Freunde grüßte, wenn
wir hereinkamen. Alberto verbrachte den größten Teil des Tages versteckt hinter vollge-
hängten Wäscheleinen liegend in einer Hollywood-Schaukel im Hinterhof, wo er Hare-
Krishna-Bücher las - aber nicht, weil er ein Hare-Krishna-Anhänger war, sondern weil es
die einzigen Bücher waren, die er sich leisten konnte, da sie kostenlos waren.
Schach war auch im El Prado beliebt. Ich spielte gegen einen alten Mann, der in einem
solchen Tempo und mit einer solchen Prahlerei so verrückte Züge machte, dass er wohl en-
tweder ein Genie oder ein Idiot sein musste. Zu meinem Glück war er ein Idiot.
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