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Melissa war lebhaft, gesund und ohne Verbitterung geblieben. Sie wirkte immer viel fröh-
licher und frischer als die anderen weiblichen Rucksacktouristen, die wir trafen, obwohl sie
zehn Jahre älter war als die meisten von ihnen. Vielleicht hatte sie auf irgendeinem Dach-
boden ein zwielichtiges Portrait …
„Diese Kinder, die sich schlecht ernähren, sich bekiffen, nichts tun … natürlich sehen sie
scheiße aus“, sinnierte Melissa. „Ich höre auf meinen Körper, deswegen sehe ich so gut
aus. Das und meine Plazenta-Hautcreme.“
Für mich war Melissa ein Glückstreffer - eine Frau, die die meisten Männer beim Billard
schlug und gern Berge bestieg. Und schneller und besser einen Joint drehen konnte als
jeder, den ich kannte, außer vielleicht Mark. Und sie war bereit, mit mir ein Verhältnis ein-
zugehen.
„Der Unterschied zwischen dir und mir“, erklärte Melissa, „ist, dass du dein Leben durch
Bücher und Worte lebst. Du glaubst, dass du alles aus Büchern lernen kannst. Du solltest
lernen, dass Weisheit und Wissen nicht dasselbe sind. Das ist der Fehler, den Leute wie du
und Mark machen. Ihr wisst über alle Fakten Bescheid, aber Wissen ist nutzlos, wenn man
nicht die Weisheit hat, es richtig anzuwenden. Weisheit bedeutet zu wissen, was wichtig
ist, auf sein Inneres zu hören, zu wissen, wann man ruhig und still sein muss. Es geht nicht
darum, wie viele Statistiken man zitieren kann oder ob man den neuesten Computer be-
dienen kann. Siehst du“, sagte sie und streckte mir die Zunge heraus. „Du kannst ziemlich
redegewandt sein, wenn du willst“, bemerkte ich. „Ja“, sagte Melissa und grinste wie ein
Schulmädchen, das von ihrem Lehrer gelobt wird. „Das kann ich.“ „Vielleicht sollte ich
dich nicht mehr ‚Bimbo' nennen“, sinnierte ich. „Ja“, sagte Melissa glücklich, „das soll-
test du.“ „Also wir wollen es mal nicht übertreiben“, sagte ich. „Du hast nur eine kluge
Bemerkung gemacht … Bimbo.“ Melissa warf mit einer Orange nach mir, die sie gerade
schälte. Sie traf mich direkt auf die Nase. Als meine Augen aufgehört hatten zu tränen, sah
ich Melissas besorgten Blick vor mir. „Entschuldigung. Ich wollte dich nicht treffen“, sagte
sie.
El Lechero
Die Truppe der Österreicher zog weiter, um weitere Gipfel mit ihren Messgeräten zu
bezwingen, die sie auf die Liste ihrer Rekorde setzen wollten. Wir wanderten und zelteten
noch ein paar Tage in der Sierra. Die Landschaft war umwerfend. Wir fühlten uns wie Jack
in der Burg der Riesen, Eindringlinge in einer Welt mit anderen Dimensionen; wir wander-
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