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in der Sierra, ist nur 5330 Meter hoch. Aber schließlich, sagte er, sei er auch nicht mehr der
Jüngste.
Der Aufstieg war eine Tour von zwei Tagen, wobei wir unterwegs in einer Berghütte über-
nachteten. Es war eher eine Wanderung als eine Klettertour, aber auf der letzten Etappe
mussten wir einen Gletscher hinauf stapfen, was ich vorher noch nie getan hatte. Im
Gegensatz zu den Österreichern hatten wir keine Eispickel oder Steigeisen. Aber wenn
Siebzig es schaffte, schaffte ich es auch. Die Österreicher verfügten nicht nur über Eis-
pickel und Steigeisen, sondern auch über Messgeräte, mit denen sie ihre Herzfrequenz,
die Höhe, die zurückgelegte Entfernung und den Energieverbrauch in den letzten fünf
Minuten messen konnten. Wahrscheinlich hatten sie auch Messgeräte, die ihnen sagten,
wann sie auf ihre anderen Messgeräte schauen mussten. Gloria marschierte zügig voraus.
Wir blieben den größten Teil des Weges hinter ihr, aber in der Nähe des Gipfels machte
mir die Höhe zu schaffen, sodass jeder Schritt ein Kampf wurde. Ich zwang mich, dreißig
Schritte zu machen, bevor ich verschnaufte, dann zwanzig, dann zehn. Je weniger Schritte
ich am Stück schaffte, desto länger wurden die Verschnaufpausen. Als ich um Luft rang,
marschierte die Kolonne der Österreicher an mir vorbei. Immerhin war der Gipfel höher als
ich je zuvor gewesen war, und das machte mich doch ein wenig stolz. Melissa wartete auf
dem Gipfel.
„Für diese Aussicht hat sich das alles gelohnt“, lachte sie. Ich sah mich um. Wir konnten
nichts sehen außer Wolken. Ich konnte gerade noch Melissa erkennen. Der Nebel war
gerade zu dem Zeitpunkt aufgezogen, an dem wir den Gipfel erreicht hatten. An einem
klaren Tag hätten wir 100 Kilometer weit über die Ebene von Los Llanos sehen können.
Weisheit
Melissa war glücklich. Das war sie im Gebirge immer. Trotz ihrer Schwäche und ihrer
vorgetäuschten Hilflosigkeit (die sie, wie ich vermute, mit Fleiß kultivierte) war Melissa
äußerst zäh: Eine Überlebenskünstlerin. Sie steckte Schicksalsschläge weg und stand jedes
Mal mit einem Lächeln wieder auf - sogar nach einer ernsten Erkrankung, einer Heroin-
sucht und untreuen Partnern.
„Aber keiner von ihnen hat mich wirklich verlassen “, betonte sie. „Und alle haben sie mich
angebettelt, dass ich zurückkommen sollte.“
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