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Der Baum des Schamanen
Delfin führte uns zu einem besonderen Baum. Er hatte tiefhängende Äste, wie eine Weide,
die einen höhlenartigen Hohlraum bildeten. Er sagte, dass der alte Schamane bis zu 20
Tage und Nächte allein hier zu sitzen pflegte, ohne etwas zu essen außer einer Baum-
rinde, die man als Brechmittel nutzte; ein Reinigungsritual, bevor er sich in die Apotheke
der Bewusstseinsverändernden Pflanzen des Urwalds versenkte. Delfin sagte, als er sieben
Jahre alt gewesen sei, hätte ihm der Schamane ein halluzinogenes Gebräu als Strafe dafür
verabreicht, dass er mit anderen Kindern gestritten hatte. Es hatte ihn so verängstigt, dass
er aufgehört hatte, andere Kinder zu drangsalieren. „Ich wünschte, sie hätten diese Art von
Strafe gehabt, als ich noch in der Schule war“, witzelte Mark.
Mark fragte Delfin, wie die Pflanze hieß. „ Ayahuasca“ , sagte Delfin. „Die Pflanze der Vi-
sionen.“ 28
---28 Das ist ein Quechua-Wort, das „Liane der Seele“ oder „Liane der Toten“ bedeutet. (In vielen indianischen Sprachen
verwendet man dasselbe Wort für „Toter“, „Seele“, „Geist“ und „Schatten“.) Unter seinem anderen Namen, Yage , erhielt
Ayahuasca in den 1960er Jahren einen Kultstatus durch William Burroughs und Allen Ginsbergs Buch The Yage Letters
aus dem Jahre 1963.
Und was bewirkte sie? Naja, Delfin sagte, sie würde Visionen hervorrufen. Und wäre es
vielleicht möglich, dass wir etwas davon probieren könnten? Natürlich ausschließlich im
Interesse der Wissenschaft. Delfin war nicht sicher. Bisher hatten noch keine Touristen sie
probiert. Die Vorbereitung dauerte 8 Stunden. Er sagte, er würde mit Laureano sprechen.
„Ich probiere keine psychedelischen Drogen“, sagte Melissa. Wir fragten Delfin nach dem
Schamanen.
„Wir haben momentan keinen Schamanen“, sagte Delfin. „Unser Schamane ist vor ein
paar Jahren gestorben. Wir wollten einen neuen Schamanen, aber …“ Anscheinend wollte
niemand den Job haben oder niemand wusste, wie er auszuführen war. „Ich übernehme
das“, bot Mark an.
Es muy duro “, erklärte Delfin. „Es ist sehr hart. Man muss viele Jahre lang studieren
und trainieren. Man muss das Familienleben aufgeben und viele Tage und Nächte allein
im Wald verbringen. Man muss der Angst und bösen Geistern begegnen und standhalten.
Man muss über die Pflanzen und ihre Kräfte lernen.“ Ein paar Jungen aus dem Dorf wären
an den Drogen interessiert, sagte er, aber sich zu erbrechen und die Erfordernis, zölibatär
zu leben, schreckte potenzielle Bewerber in der Regel ab. „Und wenn jemand stirbt und
niemand weiß warum, könnten die Verwandten behaupten, der Schamane hätte ihn mit
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