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Hof voller Reifen und Ersatzteile, der bereits für die Nacht verschlossen war. Der Fahrer
rief, um sicherzugehen, dass niemand da war, und winkte dann seinen Kollegen herbei, der
ein Brecheisen aus dem Bus mitbrachte.
Die beiden Männer stemmten das Tor auf, brachen in den Hof ein und holten sich ein paar
Ersatzreifen. Die Passagiere sahen zu und taten, als hätten sie nichts bemerkt. Genau wie
ein Bus voller Engländer, dachte ich. Die Indianer der Anden haben mit den Engländern
die vornehme Zurückhaltung an der Öffentlichkeit gemeinsam - die Entschlossenheit, so
zu tun, als wäre nichts geschehen, auch wenn ein nackter Wahnsinniger seine Genitalien
vor ihrem Gesicht schwingt.
Ausgerüstet mit neuen Ersatzreifen fuhren wir los. Wieder einmal fuhr der Bus im
Zickzack-Kurs endlos bergab - nicht eine halbe Stunde oder eine Stunde lang, sondern die
ganze Nacht. Die Luft wurde wärmer und die schattige Vegetation neben der Straße di-
chter. Der Bus-Boy legte ein Video ein. Als Variation zum üblichen Action/Gewalt-Thema
fand er einen Film mit dem Ex-Boxer Marvelous Marvin Hagler. (Er hatte den Beina-
men Marvelous - mit einem „L“ - offiziell als Namen eintragen lassen.) Hagler war ein
großartiger Boxer, aber als Schauspieler war er - nun ja - so hölzern wie Frank Bruno als
Boxer. Er spielte einen US Marine namens Sergeant Stone, der irgendwie am Amazonas
gestrandet war. Hier bringt er einem Stamm friedlicher Indianer bei, wie man einen bösen
Geschäftsmann bekämpft, der eine Straße durch ihren Dschungel baut und sie als Sklaven
einsetzt. Hagler erzählt den Indianern von Spartakus, verprügelt den bösen Geschäfts-
mann in einer Schlammpfütze und rettet den Regenwald. Wenn man die Hollywood-
Ausschmückungen und die lächerliche Figur des Hagler abzieht (sowie vorläufig auch das
Happy End), erzählt der Film genau das, was am Amazonas geschieht. Ich fragte mich, was
die anderen Passagiere darüber dachten - von denen viele echte Amazonas-Indianer waren.
Melissa fragte sich, wie die indianischen Frauen so gut geschminkt bleiben konnten. Mark
war der Meinung, die Mädchen hätten oben ohne sein sollen. Ich nickte ein und schlief un-
ruhig. Die Dämmerung entbarg eine verwandelte Welt.
Wir waren nur rund hundert Kilometer gefahren, aber wie bei der Reise an die Küste war
der Kontrast zum gemäßigten Hochland extrem. Die klamme Morgenluft war erfüllt vom
Kreischen der Vögel und dem Zirpen der Grillen. Die süße, klebrige Atmosphäre umfing
uns; die Luft war schwer von der Feuchtigkeit. Neben der Straße waren die Bäume gerodet
worden; ein paar dürre Rinder grasten im hohen, unebenen Gras. Kleine hölzerne Barack-
en balancierten auf Stelzen mit Wäscheleinen quer über den Balkonen und bunten Blumen
rings herum.
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