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zu beginnen. Vor allem junge Paare hielten die Mauer besetzt. Es war noch hell.
Im Tal brannten noch keine Lampen. Ich zog mich von der Mauer zurück, lehnte
mich an eine Säule und sprach meinen Tagesbericht in den Recorder. Die Spazi-
ergänger unter den Besuchern wanderten ab. Zurück blieben die Genießer. Sie
hatten Rotwein dabei, saßen in inniger Zweisamkeit paarweise auf der Mauer,
plauderten in gedämpftem Ton und tranken den Wein aus langstieligen Gläsern.
Dieses Schauspiel hatte Stil und eine wundervolle Kulisse. Die Stadt unterhalb
des Schlosses lag nun im Dunklen. In den Häusern und an den Straßen gingen
die Lichter an, liefen als helle Punkte langsam hinauf in die höher gelegenen Dör-
fer zwischen den weit entfernten Hügeln und vertrieben dort die letzten Reste des
Sonnenscheins. Am Himmel stand ein riesenhafter blasser Mond. Von irgendwo-
her drang Flötenspiel herauf. Da war ein genialer Regisseur am Werk und ich hatte
einen Logenplatz. Ich brauchte lange um mich aus der Faszination dieses Ortes
zu lösen und zur Altstadt zurückzukehren. Dort fand ich nahe beim alten Sudhaus
auf einer Plattform, die sich Biergarten nannte einen freien Stuhl, trank ein Weizen
und unterhielt mich mit den Leuten am Tisch über die Fußball Europameisterschaft
und andere Aktualitäten.
Eine milde Sommernacht hat etwas Erregendes. Wer den Tag nicht mit Aktiv-
itäten gefüllt hat, kommt abends nicht zur Ruhe. So ging es auch den Campern
aus meinem Nachbarzelt. Sie saßen mit ihren Bierflaschen noch lange, nachdem
ich in den Schlafsack gekrochen war, in meiner Nähe und konnten gar nicht genug
bekommen von Albernheiten und Gekicher, bis mir der Geduldsfaden riss. Es war-
en Bayern. Das hörte ich an der Sprache. Bayern sind sehr sensible, höfliche,
rücksichtsvolle, gut erzogene und einsichtige Menschen, wenn man sie auf eine
ihrem Wesen und ihrem gewohnten Umgangston angepasste Weise maßvoll auf
ein Fehlverhalten aufmerksam macht. Ich brüllte also laut aus meinem Zelt heraus:
»Himmel sakra! Ja, wo gibt`s denn so was? Also einen solchenen Haufen von Idi-
oten hab` ich noch nie auf einmal beieinander gehört. Sakrament noch einmal,
aber auch!«
Stille. Leises Davonschleichen. Das Geräusch von Reißverschlüssen. Ein paar
geflüsterte Gute Nacht Wünsche. Dann herrschte Ruhe.
Da konnte man wieder einmal sehen, wie die feinfühlige Auswahl der richtigen
Worte die Kommunikation und das Leben in einer Gemeinschaft erleichtert. Man
muss nur die intellektuelle Basis seiner Mitmenschen ansprechen und schon wer-
den sie ganz von selbst das Richtige tun.
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