Travel Reference
In-Depth Information
Das Bikini-Mädchen wusste es. »Da oben bei der Weide, da geht, es. Da ist es
tief genug.«
Tatsächlich hatte die Lahn dort einen Pool aus dem Untergrund gespült, der es
mir gestattete fünf Schwimmzüge in jeder Richtung zu machen. Das ergab zwar
keine sportliche Glanzleistung, aber doch ein wenig Kühlung. Außerdem konnte
ich mich von jetzt an rühmen, einer der wenigen Menschen aus Bremen zu sein,
die bei Marburg in der Lahn gebadet haben.
Nachdem ich meine Kräfte zwangsweise geschont hatte, war nun noch genü-
gend Energie übrig, um zum Landgrafenschloss hinaufzuwandern.
Unterwegs dorthin dachte ich, dass es nicht gelogen wäre, wenn jemand
schreiben würde, die Marburger Oberstadt mit ihren steilen Gassen und
malerischen Fachwerkhäusern wäre eine der schönsten romantischen Stadtland-
schaften Deutschlands.
Von der Schlossmauer aus konnte ich mich an der weiten Aussicht über Stadt
und Tal lange nicht sattsehen. Es gibt Orte, an denen auch ein Skeptiker eso-
terische Ausdrucksweise und Denkart tolerieren lernt. Ich befand mich hier an
einem Punkt der Landschaft, der die Qualität einer Kultstätte zeigte, an einem
Platz, an dem sich kosmische Energie zu sammeln schien, ein Energiefeld, auf
dem ich mir klein erschien und mich dennoch groß fühlte. Ich nahm mir vor, am
Abend noch einmal hierher zurückkehren. Den Blick auf das nächtliche Tal wollte
ich mir nicht entgehen lassen.
Für das Museum im Schloss war es schon zu spät. Bei meinem Rundgang um
den Gebäudekomplex traf ich auf eine Gruppe Touristen, die gerade von einem
Führer über die Funktion des Hexenturmes und der Folter unterrichtet wurde.
Eigenartig, dass sich in der Vergangenheit auch das Böse, die Unvernunft, die
Grausamkeit des Hexenwahns hier zentriert hatte. Die Gruppe stieg hinab zu den
Kasematten und ich zum Campingplatz. Nach so viel mittelalterlicher Pein und Not
verlangten mein Körper und meine Seele nach Ergötzlichem, was ihnen dann in
Form von Nahrung und zwei Dosen Radler auch zuteil wurde.
Nach ausgiebiger Erholungspause lustwandelte, will sagen spazierte ich noch
einmal zum Schloss hinauf. Ich war nicht der Einzige, der diese Idee gehabt hatte.
Es schien vielmehr eine viel geübte Sitte zu sein im Sommer den Abend hier oben
Search WWH ::




Custom Search