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Leben auf der Plaza
An dieser Stelle soll ausnahmsweise mal ein Klischee bedient werden:
Skandinavische Häuser sind eher liebevoll und gemütlich eingerich-
tet, während spanische dagegen tendenziell eher nüchtern ausfallen.
Ein Vorurteil? Natürlich! Aber mit einem klitzekleinen Körnchen Wahr-
heit. Und warum ist das so? Wegen des Klimas. Also noch ein Kli-
schee? Vielleicht, aber es ist unübersehbar, dass Spanier sich gerne
draußen aufhalten, den Kontakt zum Nachbarn, zum Freund, zum Be-
kannten suchen. Spanier sind nicht gerne allein, und wo findet man
am einfachsten Kontakte? Auf der Plaza.
Die plaza, mit „Platz“ nur unzureichend übersetzt, ist nämlich nicht
nur irgendein Platz. Sie ist Schaubühne, Treffpunkt, Wartesaal, Wohn-
zimmer, und sie befriedigt die Neugier. Die wichtigste Plaza liegt im-
mer im Zentrum eines Ortes, dort, wo die örtlichen Autoritäten, also
Rathaus, Kirche und Bar, angesiedelt sind. Aber jede Stadt hat mehre-
re Plazas, und überall spielt sich das gleiche Schauspiel ab.
Pensionistas haben ihren Stammplatz, sitzen auf Bänken oder mit-
gebrachten Klappstühlen, kennen sich seit Urzeiten, erzählen sich
den neuesten Klatsch oder schweigen sich durch den Tag, beobach-
ten dabei ganz genau, was passiert. Sie bleiben bis zum Mittagessen.
Dann wird es zu heiß, alle verkrümeln sich, die Plaza leert sich.
Erst nach Abklingen der Hitze gegen sechs oder sieben Uhr kom-
men sie alle wieder heraus. Nicht nur die Rentner, auch die Jugend-
lichen, die Hausfrauen, einfach alle. Immer in Gruppen, niemals al-
lein. Paseo nennt man das, was mit „Spaziergang“ nicht adäquat über-
setzt werden kann. Es geht nämlich nicht ums Bewegen, sondern
mehr darum, sich zu zeigen. Die Mütter ziehen gemessenen Schrittes
vorbei auf dem Weg zum Kaufmann. Meist haben sie eine halbwüch-
sige Tochter untergehakt im Schlepp. Gemeinsam kauft man für das
Abendessen ein. Die Pensionistas haben wieder ihren Stammplatz
eingenommen. Eine Mädchengruppe schiebt sich plappernd und ki-
chernd in Richtung einer Horde Jungs. Die kommen lässig, locker da-
her: „Eh, tío macho, oígame!“ („He, Alter, Macker, hör mal!“) Keine
der Gruppen achtet auf die andere, aber alle haben alles im Blick. Ir-
gendwann treffen sich beide. Die Jungs rempeln sich gegenseitig an,
schubsen sich zu den Mädels. Die kreischen ein bisschen, beschwe-
ren sich, und alles plappert noch aufgeregter durcheinander. Schwie-
rige öffentliche Kontaktaufnahme! Die Pensionistas beobachten das
Spektakel von ihrem Schattenplatz aus und schwadronieren von da-
mals: „Weißt du noch? Anno neuzehnhundert ... “ Und auch die lie-
ben Kleinen lässt man toben. Eine Tante, Oma oder Nachbarin hat im-
mer Zeit, stellt einen Stuhl vor die Tür in den Schatten und hockt sich
hin. Bald kommt die nächste, und wieder ist man nicht allein. Auf der
anderen Seite der Plaza steht der Zeitungsverkäufer seit dem frühen
Morgen. Immer noch kommt irgendjemand und kauft ein Rätselheft,
einen Kaugummi oder plaudert eine Runde.
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