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Kaum einem anderen Staatsmann wird posthum noch solch ein Personenkult zuteil.
Mustafa Kemal, um 1881 als Sohn eines Zollbeamten und einer Bauersfrau im damals
weltoffenen Saloniki (das heutige Thessaloniki) geboren, zeichnete sich nicht nur als
Offizier aus, sondern auch als Präsident, der die Türkei in einem gewaltigen Kraf-
takt säkularisierte und europäisierte. Er vertrat den Kurs einer strikten Trennung von
Staat und Religion. Für den Staatsgründer war der Islam das größte Hindernis bei
der Modernisierung des Landes („Der Politiker, der zum Regieren die Hilfe der Re-
ligion braucht, ist nichts anderes als ein Schwachkopf“). Kemal verwarf die islamis-
che Jahresrechnung und hob die Stellung des Islam als Staatsreligion auf. Für seine
Verdienste verlieh ihm das Parlament 1934 den Namen Atatürk, „Vater der Türken“.
Und selbst Winston Churchill erkannte neidvoll an: „Jedes Jahrhundert bringt nur
eine geniale Person hervor, leider gab Gott in diesem Jahrhundert diese geniale Per-
son den Türken.“ So ruhmreich Atatürks militärische und politische Laufbahn war,
im privaten Leben sah es nicht so rosig aus. Er war ein Bewunderer schöner Frauen,
doch das Glück der großen Liebe blieb ihm versagt. Nur kurz war er verheiratet,
die Ehe mit der späteren Frauenrechtlerin Latife Hanım ging in die Brüche. Um
nicht kinderlos zu sein, adoptierte er mehrere bedürftige Mädchen. Seine berühm-
teste Tochter sollte Sabiha Gökçen werden, die erste türkische Pilotin, nach der auch
einer der İstanbuler Flughäfen benannt ist. Halt im Leben fand er insbesondere beim
Rakı. 1938 verstarb er an Leberzirrhose in İstanbul. Seine Gebeine ruhen im Atatürk-
Mausoleum in Ankara.
Seit Atatürks Tod sorgt das Militär, der selbsternannte Hüter über den Laizismus, dafür,
dass dessen geistiges Erbe nicht durch islamische Fundamentalisten und linksradikale
Gruppierungen verletzt wird. Kemalistische Offiziere putschten 1960 und ließen den Min-
isterpräsidenten Adnan Menderes hinrichten, der reaktionären islamischen Kräften
nachgegeben hatte. Unruhen und Streiks führten 1972 dazu, dass das Militär erneut in die
Politik eingriff. 1980 übernahm abermals das Militär die Macht, löste das Parlament auf
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