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das Gotteshaus sogar kurzerhand als
Katapult zweckentfremdet, um das
Wittensteiner Schloss besser bombar-
dieren zu können. Trotz des niedrige-
ren Ranges im Vergleich zum Rigaer
Dom prägte die Petrikirche wie keine
andere das tägliche Leben in der mit-
telalterlichen Stadt: Eine spezielle Glo-
cke läutete den Menschen Anfang
und Ende ihrer täglichen Arbeit. Die
erste städtische Uhr Rigas wurde 1352
an eben jener Kirche angebracht.
Auch war der Turm schon immer ein
wichtiger Aussichtspunkt: In Friedens-
zeiten wachte ein Späher von oben
über Recht und Ordnung, während in
Kriegszeiten die Feindbewegungen er-
kannt und gemeldet werden konnten.
Freilich wurde die Kirche im Laufe
der Jahrhunderte immer wieder umge-
baut und erhielt die Prägung neuer
Kunstepochen. Anfang des 15. Jh.
baute der Rostocker Architekt Johann
Rumeschottel einen neuen Altar. 1491
wurde ein Holzturm auf das Gebäude
gesetzt, der ganze 136 Meter Höhe
aufweisen konnte - seinerzeit die
höchste hölzerne Turmkonstruktion
der Welt. 1690, nach der ersten ver-
heerenden Zerstörung, wurde der
Kirchturm in der heute zu besichtigen-
den Form im Barockstil errichtet. Wie-
derum wurde eine Holzkonstruktion
gewählt, die sich mit 121 Metern Hö-
he immerhin als europäischer Rekord-
halter rühmen konnte. Vom Original
ist aber auch hier nichts übrig, denn es
brannte gleich dreimal aus - zuletzt
während des Krieges 1941, ausge-
rechnet am Namenstag des heiligen
Petrus. Erst in den 1970er Jahren kam
es zum Wiederaufbau, diesmal wohl-
weislich mit Stahl statt Holz. Das Aus-
sehen gleicht jedoch recht genau dem
von vor 300 Jahren. Besonders cha-
rakteristisch ist die spitz zulaufende
Form des Turmes, der gleich zweimal
von offenen, luft- und blickdurchlässi-
gen Galerien unterbrochen ist. Dies
war im 17. Jh. eine echte Rarität. In
den Siebzigern wurde von den Sow-
jets der in Kirchen eher seltene Fahr-
stuhl zur Aussichtsplattform einge-
richtet.
Von der Originalkirche sind Teile
der Außenwände an den Seitenschif-
fen erhalten. Die barocke Westfassa-
de mit Bibeldarstellungen und Gleich-
nissen stammt von dem aus Straßburg
nach Riga bestellten Architekten Ru-
pert Bindeschuh, der auch für den in-
novativen Turm am Ende des 17. Jh.
verantwortlich war.
Durch die Zerstörung im Zweiten
Weltkrieg ist vom Innenleben der Kir-
che kaum etwas übrig geblieben.
Doch das leere Gebäude strahlt im-
mer noch eine besondere Atmosphä-
re der Macht und Erhabenheit aus.
Temporäre Kunstausstellungen gas-
tieren in St. Petri. Gelegentlich werden
Konzerte in dem beeindruckenden
Bau gespielt (dienstags um 18 Uhr
präsentieren sich junge Musiker mit
ihren Lehrern), doch für Musikdarbie-
tungen ist sonst eher der Rigaer Dom
berühmt.
Mit dem so oft zerstörten Kirchturm
ist eine den Rigaern wohl bekannte
Anekdote verbunden: Mitte des
18. Jh. eröffnete der Baumeister den
nach einem Blitz zerstörten und wie-
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