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weder die Kirche vollendet noch seine
Tochter verheiratet. Beides übernahm
nun der junge Meister. Die Liebe zu
der schönen Anna verlieh seiner
Schaffenskraft Schwung und Leichtig-
keit, und ihr zu Ehren gab er der Kir-
che den Namen „Anna-Kirche“. Den
unteren Teil des Bauwerkes mit den
drei Rundbogen des Portals soll der al-
te Meister geschaffen haben, wuchtig,
behäbig und schwer. Der aufstreben-
de, lebendig verspielte Teil mit den
drei Türmen soll vom jugendlichen
Meister Jonas stammen. Die Ge-
schichte klingt schön, ganz gleich, ob
sie wahr ist oder nicht.
Der
Glockenturm
daneben wurde
erst 1873 im neugotischen Stil erbaut.
Gleich hinter ihm liegt die
Kapelle der
Christustreppe
von 1613, umgebaut
1752. Man erreicht sie durch einen
gotischen Torbogen.
Schräg gegenüber liegt der Eingang
zur Kirche des Hl. Franz von Assisi,
besser bekannt als
Bernhardiner-Kir-
che.
Sie gehörte zum Kloster der Fran-
ziskaner, die bereits 1469 als Mitglie-
der des Kreuzritterordens von Polen
gekommen waren und ein Stück Land
in der Flussschleife der Vilnia erhalten
hatten. Die an der Stelle eines mitsamt
dem Kloster abgebrannten Holzbaus
um 1500 errichtete Steinkirche stürzte
schon bald wieder ein. Lediglich die
Sakristei blieb erhalten und bildet
noch heute die Apsis der Kirche. Die
heutige Kirche wurde 1519 unter dem
Baumeister Enkinger auf den ehema-
ligen Fundamenten erbaut und mar-
kiert die
klassische Vollendung der
Gotik.
Trotz Renovierungen hat das
Bauwerk sein ursprüngliches Aus-
sehen mit Spitzbogenfenstern, den
Ornamenten über den Nischen an der
Hauptfassade und der für die Gotik
typischen aufstrebenden Wirkung weit-
gehend bewahrt. Im
Renaissancestil
gestaltet wurden nur die Spitzen der
beiden Seitentürme und der Frontgie-
bel; dort in einer Halbkreisnische sieht
man die
Wandmalerei
„Der Gekreu-
zigte“ von 1846.
An der Südwand liegen zwei ba-
rocke
Kapellen,
an der Nordseite fin-
det sich die Klostergalerie. Der
Innen-
raum
wird von vier Paaren achteckiger
Säulen in drei Schiffe unterteilt; abge-
trennt durch einen Triumphbogen ist
der Chor. Auffallend sind die verschie-
denen Gewölbe. Der Holzaltar stammt
von 1614, die zwölf Seitenaltäre im
Rokoko-Stil sind von 1766-84. Hier
befinden sich auch das Grab des Fürs-
ten Stefan Radvila (1618) sowie eine
mannsgroße Skulptur eines Gekreu-
zigten vom 15. Jh., die landesweit
älteste. Im Zuge einer tiefgreifenden
Renovierung wurden auch gotische
Fresken
im Innenraum (mit Szenen
von Jesus und St. Christophorus) so-
wie im Klosterkorridor zur Sakristei
der St.-Anna-Kirche entdeckt.
Dass das Gotteshaus nicht nur from-
men Zwecken gedient hat, beweisen
die 19
Schießscharten
in der nörd-
lichen Wand direkt unter dem Dach
sowie die dicken Mauern und die
Ver-
teidigungstürme,
auf die Spindeltrep-
pen hinaufführen. Wegen ihrer Lage
am Stadtrand wurden die festungs-
artige Kirche und das Kloster gleich in
die Wehranlagen einbezogen. Zu Sow-