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Auf dem Tanzparkett wimmelte es
dabei wie in einem Ameisenhaufen.
Die Enge hatte Auswirkungen auf den
Tanzstil: Es gab keinen Platz mehr
für die wilden Beinschwünge eines
Cachafaz. Die Zeit war reif für fließen-
de Bewegungen. Carlos Alberto „Pe-
troleo“ Estévez - tagsüber erfolgrei-
cher Banker und nachts großartiger
Tänzer - zettelte, misstrauisch von
den Alten beäugt und beschimpft,
eine Revolution im Tangotanz an: Er
entdeckte mit seinen Freunden die
fortgesetzte Drehung. Das veränder-
te den Tanz vollständig, denn die Tän-
zer waren fortan nicht mehr auf fest-
gelegte Figuren angewiesen.
Nach dieser fieberhaften Zeit ver-
schwand der Tango in den 1950er-
Jahren als Massenphänomen und
war ab den 1960er-Jahren nur noch
in Fernsehshows und auf der Bühne
präsent. Diesen ganz anderen Büh-
nentango, auch tango fantasía ge-
nannt, hat Juan Carlos Copes ent-
scheidend geprägt. Von ihm laufen
auch heute noch von Zeit zu Zeit Tan-
goshows in den Theatern der Aveni-
da Corrientes. Wer möchte und ein
wenig Glück hat, kann sogar Unter-
richt bei dem 83-jährigen Spitzentän-
zer und seiner Tochter nehmen. Auf
der Tanzfläche, im Radio und bei den
Plattenverkäufen florierten ab 1955
andere Rhythmen - die Jugend pack-
te das Rock-and-Roll-Fieber. Unter-
dessen krempelte ein Bandoneonist
die Tangomusik völlig um: Astor Piaz-
zolla versetzte sie mit Elementen des
Jazz und einem Kammermusikton.
Das war keine Tanzmusik mehr. Tan-
go war für Piazzolla die „Musik aus
Buenos Aires“. Für diese Kompositi-
onen wurde er von den alten Tango-
liebhabern beleidigt und verfemt.
Die jungen Porteños empfanden
bis in die späten 1990er-Jahre die al-
ten Tangos als sentimental und ver-
kitscht, der Tanz war für sie ein Frei-
zeitvergnügen von Rentnern. Doch es
war schon alles bereit für ein neues
„goldenes Zeitalter“. Gustavo Naveira
und Fabián Salas waren dabei, den
Tango und sein Schrittrepertoire neu
auszuloten. Zusammen mit anderen
jungen Tänzern wie Chicho Frúmboli
legten sie die Struktur des Tangos frei
und entdeckten eine Fülle tänzeri-
scher Möglichkeiten. Auch sie teilten
das Schicksal aller Neuerer: Von den
alten Tänzern, den milongueros, wer-
den sie bis heute verachtet. Zumal
sie ein Sakrileg begingen: Sie tanzten
zur Musik von Astor Piazzolla, die ih-
nen passender schien für die vielfälti-
gen neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
Für Traditionalisten sollte es im
neuen Jahrtausend noch ärger kom-
men: Das Trio Gotan Project verband
klassische Tango-Elemente mit Ver-
satzstücken aus House, Hiphop und
Reggae. Dieser Electrotango fand
in den folgenden Jahren Dutzende
Nachahmer. Die Musik sprach jün-
Wer? Wann? Wo?
Einblick in die unübersichtlich große
Tangoszene bieten zahlreiche Gra-
tisblätter wie etwa Punto Tango, ein
Heftchen in handtaschengerechter
Größe mit vielen Anzeigen und den
wichtigsten Adressen und Daten.
Das zentralorgan ist aber immer
noch die El Tangauta, die zu Termi-
nen und Anzeigen auch interessante
Geschichten und Interviews liefert.
Seit 1995 erscheint die zeitschrift
um den 10. jeden Monats. Verpasst?
Macht nichts. Nach einer kostenlosen
registrierung kann man ältere Ausga-
ben unter www.eltangauta.com her-
unterladen.
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