Travel Reference
In-Depth Information
nessee Sour Mash Whiskey kommt auch hinein. Für unterwegs, wir haben ja was zu feiern
- und eine behütete Vergangenheit, die wir bis Boston am besten vergessen haben sollten.
Am Abend genießen wir noch ein letztes Mal New York City: Flashdancers, ein Nacht-
klub am Broadway. Die ultimative Ablenkung vor dem Takeoff. - Ach, ein letztes Mal
nackte Frauen sehen. Wer weiß, ob's die weiter im Westen auch noch gibt.
Weil sich Tobi nicht von der Mitternachtseinlage „Die größten Titten der Welt“ los-
reißen kann, stimmt unser Zeitplan nicht mehr.
Im Dauerlauf geht's mit dem unhandlichen Karton zur U-Bahn. Dann warten wir zwan-
zig Minuten auf den Zug. Umsteigen müssen wir auch noch zweimal bis zum Busbahnhof
„Port Authority“. Und der Greyhound legt in einer halben Stunde ab. Will sie uns am Ende
gar nicht haben, unsere Abenteuerreise? Das wird verdammt knapp.
Bei der ersten Gelegenheit disponieren wir um. Im Taxi geht's direkt zum Busbahnhof.
Wir verlieren wertvolle Dollars, gewinnen dafür wertvolle Zeit. Trotzdem laufen wir durch
die Wartehalle zu Gate 13. Sicher ist sicher. Cool sein ist jetzt nicht angesagt.
Stefan brüllt laut und vernehmlich „Scheiße!“ hinter mir. Ich drehe mich nicht um, laufe
weiter. Sicher ist ihm der Schuh aufgegangen oder die Nase läuft. Man kennt das ja bei
ihm.
Wenige Schritte vor der Rolltreppe reißt der Griff von meinem Plastikbeutel. Der
Sack kracht klirrend auf den Marmorboden. Als ich ihn aufhebe, fließt aus einem
Dutzend kleiner Löcher bernsteinfarbener Bourbon.
Als Stefan fünf Minuten nach mir stinkwütend den Bus erreicht (ich dachte schon, er hat
sich im Bahnhof verlaufen), muss ich erst lachen - typisch Stefan -, dann ärgere ich mich
laut darüber, dass unser teurer Schlaftrunk jetzt auf der Rolltreppe spazieren fährt. Stefan
wird daraufhin ein bisschen aggressiv - aus seiner Sicht verständlich.
Zerknirscht überreiche ich dem Busfahrer meine durchtränkte Fahrkarte.
Als der chromfarbene Greyhound laut dröhnend im „Port Authority“-Tunnel an-
fährt, wird mir mit einem Schlag klar, dass das Abenteuer in diesem Augenblick be-
gonnen hat.
Während wir Manhattan in nördlicher Richtung durch Harlem verlassen, verbietet der
Chauffeur über die Lautsprecheranlage das Rauchen und Trinken während der Fahrt und
weist die anderen Passagiere mit unüberhörbarem Vergnügen auf das süßlich-malzige
Sour-Mash-Aroma hin, das sich inzwischen bis in den letzten Winkel des Busses ausgebrei-
tet hat. („… hat er hoch und heilig versprochen, dass das alles von seiner Kleidung kommt
und dass er keinen Tropfen davon getrunken hat!“ - Der ganze Bus schaut amüsiert in un-
sere Richtung.)
Bourbon ist ansteckend: Vom Regenschutz aufs T-Shirt, von den Socken auf die
Schuhe. An diese Nacht werde ich noch lange denken. Wenigstens kann ich jetzt nicht
mehr verloren gehen: Der instinktloseste Straßenköter Nordamerikas würde mich
jetzt sogar beim Ausatmen mit verstopfter Nase riechen können.
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