Travel Reference
In-Depth Information
Situation gesagt haben: „Wenn es Amerika nicht gäbe, müsste man es erfinden.“ Wir wis-
sen es besser: Es gibt Amerika wirklich. Das ist uns gleich am Flughafen in New York auf-
gefallen …
Unser neuer Atlas enthält keine Steigungs- und Gefälleangaben. (Wer braucht die
schon?!) Und der Übersicht halber hat Rand McNally kleinere Straßen und Dörfer einfach
weggelassen. Manchmal werden wir deshalb unterwegs glauben, wir hätten diese Ortschaf-
ten entdeckt.
Tobi fragt sich, was wohl all die Leute gerade machen, die wir im Laufe der drei
Monate treffen werden. Gute Frage. Für mich existieren diese Leute noch nicht. Gen-
auso wenig, wie dieses Land existiert. Es ist völlig fiktiv, eine Erfindung meiner Phan-
tasie. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es die Menschen, denen wir begegnen, auch
dann noch geben wird, wenn wir wieder fort sind.
Es wird tatsächlich eine Art Entdeckungsreise sein: eine Entdeckungsreise quer durch
Nordamerika, aber auch eine in uns selbst. Eine, die jeder anders erlebt, der sie wagt. Wir
werden Orte und Menschen entdecken, von denen angeblich jeder wusste und die doch
keiner sah. Unsere Mission ist friedlich: Wir wollen die Spuren der ersten Siedler streifen
und der Erosion durch dahinhechelnde, motorisierte Touristen den Rücken kehren. Selbst
wollen wir keine Spuren hinterlassen. Sehen und erleben, nicht verbrauchen und zerstören,
geschweige denn irgendetwas oder irgendjemanden erobern. - Eine innige Beziehung ein-
gehen wie der Regenwurm mit der Grasnarbe? Ja. Über dieses Land herfallen wie Bulldo-
zer über einen Porzellanladen? Nein. - Amerika neu und nur für uns öffnen. Behutsam und
ganz allmählich, Tritt für Tritt sozusagen.
Greyhound & Bourbon
Wir sind fett geworden in New York: Ganze vier Tage waren wir hier. Viel zu lange. Der
nächste Ort, an dem wir so lange ausharren wollen, ist weit weg. Es wird San Francisco
sein. Hoffentlich.
Am Nachmittag kaufen wir Bustickets nach Boston: Abfahrt 2.30 Uhr früh, Ankunft ge-
gen sieben. Es geht los. Wir verstauen unser bisheriges Leben in einem Pappkarton. Ta-
schen oder womöglich Koffer sind jetzt fehl am Platz. Minimalismus ist angesagt. Alles,
was wir von hier aus mitnehmen, müssen wir die nächsten Monate mitschleppen; mehr als
6000 Kilometer weit und über die Rocky Mountains. Alles andere wird lange vor uns in
Kalifornien sein: im Koffer, den wir von hier an die Westküste verschicken.
Alles, was ich in den Koffer lege, wird noch einmal genau begutachtet. Die Laufschuhe,
die wir für den Central Park mitgenommen hatten, und die Reserve-Jeans haben's gut. Sie
müssen die Tortur nicht mitmachen. In drei Monaten sehen wir uns (hoffentlich) wieder -
am anderen Ozean …
Einpacken, Karton zukleben, wegtragen. Sehr einfach. Nur wir sind noch nicht ganz so
weit. Aber darauf kann jetzt wirklich keiner mehr Rücksicht nehmen. Die Zeit bis zur Ab-
fahrt schiebt uns vor sich her. Noch ein Plastikbeutel fürs Handgepäck. Eine Flasche Ten-
Search WWH ::




Custom Search