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Wir sind Verbrecher! Als mit der Dunkelheit die Zeit für zwielichtige Gestalten wie uns
anbricht, dringen wir mit unseren Rädern lautlos ins verlassene College ein. Wie die Dal-
tons fühlen wir uns auch deshalb, weil direkt auf der anderen Seite der hell beleuchteten
Straße einladend das County-Jail und eine gut ausgestattete Polizeistation auf uns warten.
Aber zum Glück bleibt am Ende jeder von uns auf seiner Straßenseite. Wir rollen unsere
Räder den dunklen Gang des Turnsaaltraktes bis zur Herrenumkleide hinunter und genie-
ßen eine heiße, stundenlange Dusche, bevor wir unsere Schlafsäcke auf den Fliesen aus-
breiten.
Wind und Berg
Auch dem dümmsten Radfahrer fällt irgendwann auf, dass sich Wind und Berg vom Prin-
zip her sehr ähnlich sind: Man kommt bei beiden langsamer voran und muss daher fester in
die Pedale treten. Dass der Fachmann - insbesondere der erfahrene USA-Radfahrer - die
beiden so selten verwechselt, mag daher für den Laien überraschend sein. Doch mit etwas
Übung ist auch nach kurzer Einschulung eine Reihe feiner Unterschiede feststellbar, mit
denen man die vorliegende Naturgewalt bestimmen kann.
Für uns ist das Auseinanderhalten kein Problem: Wenn es mir gelingt, vorneweg zu
fahren, dann ist es meistens ein Berg; wenn es Tobi schafft, mich abzuhängen, dann
kann es sich nur um Wind handeln.
Da es sich der Amateur aber nicht immer leisten kann, als Messinstrument zwei unglei-
che Brüder mitzuschleppen, hier noch ein paar zusätzliche Tipps:
1) Fast jeder Berg hat einen Namen. Das kommt daher, dass Berge meist zuverlässig an
derselben Stelle anzutreffen sind: Man kennt also seinen Gegner persönlich und kann ihn
je nach Laune wütend verfluchen oder glücklich lobpreisen.
Winde haben dagegen nur selten Namen (z. B. Hurrikan Boris, Taifun Toni) - weshalb
auch ihre Zuverlässigkeit meist zu wünschen übrig lässt: Winde kommen und gehen, wann
sie wollen, und bringen daher vorausplanende Reisende zur Verzweiflung. Und schließlich
weiß man nie, wann und wo Winde das nächste Mal zuschlagen werden.
2) Hat man einen Berg einmal bezwungen, so kann man stolz von ihm herabblicken.
Hat man hingegen versagt, so kann man später immer noch an den Ort der Niederlage zu-
rückkehren und einen erneuten Versuch starten. - Einem bezwungenen Wind triumphie-
rend nachzublicken, bringt selten das erhoffte Hochgefühl. Hat hingegen der Wind über
den Reisenden gesiegt, so sollte man Ort und Jahreszeit der Niederlage in Zukunft tunlichst
meiden. (Die Chance, einen Hurrikan zweimal zu überleben, ist gering.)
3) Einen bezwungenen Gegenwind kann man - im Gegensatz zum Berg - nachher nicht
wieder hinunterfahren. Um zu einer vergleichbaren Erholung zu gelangen, müsste man auf
Rückenwind warten. Doch das kann dauern. Gegen- und Rückenwind treten nur selten als
Paar auf, und in manchen Gegenden Amerikas würde eher ein Berg aus dem Boden wach-
sen, als dass ein Rückenwind des Weges käme.
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