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200 Meter nach dem Ortsschild von Wood ist die Straße plötzlich mit Tausenden von
Heuschrecken übersät. Die folgenden Minuten gleichen einer Fahrt durch ein Minenfeld
aus Popcorn. Ausweichen unmöglich - was bleibt, ist: Hemd in die Hose, Kragen hoch,
Mund zu - und durch (bah!).
Bei 100 Grad Fahrenheit und (wie glücklich, überglücklich sind wir!) Rückenwind geht
es an weit gestreuten Bisonherden vorbei. - Schließlich erreichen wir White Rivers. Mit
Verwunderung stellen wir fest, dass hier noch immer die Central Time gilt - obwohl der
Ort laut Rand McNally bereits eindeutig in der Mountain-Time-Zone liegt (und dieser At-
las doch immerhin das weit verbreitetste Kartenwerk der USA ist!). Daraufhin erklärt man
uns mit grimmigem Lächeln, dass Rand McNally hier rein gar nichts zu melden hat: Den
Einwohnern von White Rivers ist nämlich völlig egal, was irgendein Typ in irgendeinem
weit entfernten New Yorker Verlag über ihre Zeitzonen denkt. Zeitmäßig orientiert man
sich ausschließlich nach Osten - denn im Westen liegt das Reservat … - Nachdem wir
nicht den Eindruck erwecken wollen, als seien wir völlig hintennach (auch wenn sich's da-
bei bloß um eine Stunde handelt), stellen wir unsere Uhren also wieder um.
Als wir von einer Barfrau erfahren, dass der 4. Juli doch erst am 4. Juli stattfindet, fahren
wir weiter.
Es ist noch heißer als gestern. Der aufgeweichte Asphalt wirft Blasen, die beim Drüber-
fahren knistern wie festgetretener Kaugummi. Teergefüllte Risse und Sprünge in Längs-
richtung der Straße werden gefährlich wie Straßenbahnschienen. Überall, wo es Wasser
gibt, rasen Libellenschwärme im Tiefflug über die Fahrbahn.
Der nächste Ort, Cedar Butte, ist ein ausgedehntes Altautolager mit zwei Einwohnern:
dem uralten Jack und seinem noch wesentlich älteren Bruder Joe. Joe hat hier vor Jahren
mal ein Postamt betrieben, weshalb die „Stadt“ überhaupt noch so potent auf der Landkarte
verzeichnet ist. Jetzt ist er in Pension, verkauft (oder sammelt?) Schrottautos und verhökert
darüber hinaus Benzin und Lebensmittel an darbende Touristen, denen just in Cedar Butte
der Gasfuß eingeschlafen ist. 25 Kilometer vor „Trash Town“ und 25 Kilometer danach:
nichts!
Jede Wette, dass die Schrottautos weggehen wie die warmen Semmeln! Schließlich
gibt's hier so gut wie keine Konkurrenz …
Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Wanblee, das uns mittlerweile als Ta-
gesziel vor Augen schwebt, liegt mitten im Indianerreservat.
Im Reservat wundert man sich entsprechend über uns: Mutig seien wir, dass wir uns hier
mit dem Rad durchtrauten. - Mit Verblüffung nehmen wir unseren Mut zur Kenntnis: Wird
man uns etwa mit Tomahawks auflauern, mit Pfeil und Bogen beschießen, skalpieren? -
Nein. Das Problem ist Alkohol am Steuer. Und die vielen zerbrochenen Bierflaschen auf
der Straße. Broken dreams - eine Scherbe für jeden zertrümmerten Traum. Ein Hauch ver-
wester Hoffnungen liegt in der Luft: Pine Ridge Indian Reservation - Heimat eines betro-
genen Volkes, belogen zuerst von den Weißen, dann aber auch von den eigenen Führern
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