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Bei Stefan ist wie immer alles komplizierter.
Ich weiß nicht einmal, ob es das große Abenteuer ist, das mich beunruhigt, oder
bloß die Tatsache, dass es einfach noch immer nicht begonnen hat. Oder hat es viel-
leicht schon lange begonnen, und ich habe es bloß noch nicht mitgekriegt? - Ich glau-
be, im Moment ist dieses Unternehmen USA ganz einfach etwas, das mich überfor-
dert …
Dafür stelle ich mir Tobis Frage, ob wir es schaffen werden, gar nicht. Natürlich
werden wir es schaffen. Selbstredend. Schließlich sind wir schon hier. Wer ins Wasser
springt, hat ja auch nur zwei Möglichkeiten: schwimmen oder absaufen.
Ich schalte meine innere Eieruhr auf Abwarten: Aufkeimende Emotionen für dieses
Land oder für die bevorstehende Reise unterdrücke ich - unfähig, für etwas Gefühle
zu entwickeln, von dem ich nicht einmal weiß, ob es sie erwidern kann.
In der Zwischenzeit hilft nur Schäfchen zählen, Beinhaare ausrupfen oder Zehennägel
schneiden. In einer Woche werden wir auf dem Rad sitzen, uns die Seele aus dem Leib
strampeln und uns wünschen, wir hätten irgendwelche Reserven zu verbrauchen.
Toll! Und da soll man jetzt ruhig bleiben? Aber auszucken bringt auch nichts, ändert vor
allem nicht viel. Es wird einfach so passieren. Unbegreiflich ist es trotzdem.
Unsere Vorstellung von diesem Kontinent ist mehr als beschränkt: Amerika ist einfach
eine A4-Seite aus dem Atlas. - Eine respektlose Ansicht? Vielleicht. Aber drei Monate sind
schließlich auch nur drei Seiten im Kalender. Vier Blätter Papier, die durch ein anfangs
belangloses Gespräch in Wien willkürlich in Zusammenhang gebracht wurden. - Wir peit-
schen uns gegenseitig in eine hollywoodartige Euphorie hinein. Die Turnschuhwerbung auf
MTV rät uns ja schließlich auch mehrmals täglich: „Just do it!“ Und jeder schaut drauf,
dass der andere bloß nicht über den Rand der Scheuklappen schielt. Zu viel Vernunft tut
dieser Idee nicht gut. Wenn wir doch nur jetzt schon wüssten, was diese drei Monate uns
nachher bedeuten werden …
Bei Barnes & Noble kaufen wir die ultimative Karte für diese Reise: „Rand McNally
Road Atlas“ im Sonderangebot - 6 Dollar 95 statt der üblichen 10 Dollar. Riesenmaßstab:
eine Seite für jeden Bundesstaat. Jede andere Lösung (einzelne Karten, ein genauerer At-
las) ist uns zu teuer oder zu umfangreich.
Ist auch jeder Bundesstaat drin, den wir brauchen? Beim Durchblättern rasen die Gedan-
ken in eine ungewisse Zukunft: ein Buch voller anonymer, leerer Seiten. Es liegt an uns,
sie in den nächsten Wochen mit Entdeckungen, Geschichten und Bildern zu füllen. So ab-
strakt, so phantastisch sind die bunten Linien und Namen darin, dass wir uns wie Schatz-
sucher über jeden Baum und jeden Stein freuen werden, der in diesem Zauberbuch, wie in
der Wirklichkeit, zu finden ist. Phantasie und Realität im Einklang - das Grundgesetz aller
Amerika-Klischees.
Sagt man nicht, dass dieses Land alles Vorstellbare zulässt? Wird hier also alles wahr,
wenn man nur dreist genug ist, es sich zu wünschen? Irgendein Typ soll einmal in ähnlicher
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