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Debbie bewirtet und füttert uns. Stolz zeigt sie uns ihren riesigen Bauernhof, ihre endlo-
sen Maisfelder, ihren gigantischen Traktor (mit dem man wohl auch in die Schlacht ziehen
könnte) und das Haus ihres Sohnes Mike, der uns - wie sie jetzt schon weiß - gerne für die
Nacht beherbergen wird. Während wir Mike ein bisschen kennen lernen, wäscht sie unsere
Sachen und verspricht uns ein Abendessen im besten Steakhouse von ganz Amerika, im
„Branded Iron“.
Vor lauter Freude über das bevorstehende Gelage vergesse ich meinen Reisepass auf der
Farm. Nicht einmal Debbie, die sonst alles schafft, kann den Barkeeper davon überzeugen,
dass ich mit meinen 25 Jahren nun auch schon gelegentlich ein Bier trinken darf. Mike
fährt mit mir den ganzen Weg zurück, um den Pass zu holen, nur damit ich heute abend
nicht mit trockener Zunge an meinem „Rib eye“ herumwürgen muss. Der Mann weiß halt,
was im Leben von Bedeutung ist.
So sehr wir unser Gedächtnis auch bemühen: Die Steaks im „Branded Iron“ sind mit
nichts zu vergleichen, das uns je zwischen die Zähne gekommen ist (weich wie Nackt-
schnecke, zart wie Babypo, saftig wie Tiefseequalle - aber dieser unvergleichliche Ge-
schmack …). Filet Mignon, das buchstäblich auf der Zunge zergeht; das Besteck braucht
man nur, damit man sich in der Ekstase an etwas festkrallen kann.
Voll gefressen und mit wohligem Lächeln auf dem Gesicht (Debbie hatte das hinterhältig
geplant!) geht's zurück auf die Farm.
Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so Auto fährt wie Mike: In weit nach vorn ge-
beugter Haltung faltet er die Hände über dem Lenkrad - gerade, dass er nicht auch noch
das Kinn darauf stützt. Mike sagt, das hat er sich beim Traktorfahren angewöhnt. Tatsäch-
lich, wenn man die endlosen Ackerfurchen und die ebenso endlosen schnurgeraden Stra-
ßen in dieser Gegend vergleicht, kann man diese evolutionäre Spielart der Automobilistik
nachvollziehen.
Mike droht uns auf der Fahrt an, dass er den Kühlschrank voller Bier hat, sein Bruder
Jake wohl mit ein, zwei Freunden zu Besuch ist und außerdem ein Dartsspiel zu Bon-Jovi-
Klängen auf uns wartet.
Jake und sein Freund sind schon ziemlich in Ordnung. So in Ordnung, dass wir schließ-
lich wie bei einem Ländermatch T-Shirts austauschen. Wir haben jetzt jeder eins mit der
Aufschrift „Jake's Sweetcorn“ und einem riesigen gelben Maiskolben drauf. Jake ist da-
für begeisterter Besitzer des Studentenkonto-Spargeschenk-Hemds einer österreichischen
Bank. Die Pfeil-und-Bier-Session dauert die ganze Nacht, und Mike überfällt uns gegen
zwei Uhr hinterrücks mit ein paar Flaschen „Goat's Breath“, die er irgendwo aus einer fins-
teren Gruft hinter dem Haus geholt haben muss: Dieses lokale Micro-Brew ist so stark und
übel riechend, dass es wohl besser als Riechsalz oder Hustensaft einzusetzen wäre, statt es
auf ahnungslose Dünnbiergenießer loszulassen.
Ob da wohl echte Ziegen drin sind?
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