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Ich bin am Ziel der Reise. Iowa ist genau dieser nichtssagende No-Name-State in der
Mitte des Kontinents, den ich mit seinen ozeanähnlichen Maisfeldern, ins Unendliche zie-
lenden schnurgeraden Straßen und kleinen Dörfern so richtig genießen kann.
Mit vollen Wassertanks, Bananen, Müsliriegeln und Chocolate-Chip-Cookies radeln wir
zufrieden und unabhängig durch dieses immer gleiche Niemandsland: Die Sonne brennt
aus einem wolkenlosen Himmel herunter, Vögel hüpfen uns vor lauter Langeweile von ei-
nem Strommast zum nächsten nach, und wenn man gelegentlich von einem unter lautem
Gezeter attackiert wird, dann ist man für diese kontrastreiche Action-Einlage schon richtig
dankbar.
Selbst die Amerikaner blicken hier nicht so richtig durch: Iowa? Idaho? Oder doch Ohio?
- Also was jetzt? Das mit den Sojabohnenfeldern, das mit den Kartoffeln oder das mit dem
Mais?
Rast unter einem schattigen Baum auf einem luftigen Hügel, Schuhe ausziehen (Mist, ha-
be ich mir im nassen Osten einen Fußpilz eingefangen?) und Seele baumeln lassen.
Tobi ist irgendwie ganz zufrieden mit sich. Nehme ich jedenfalls an. Mit Fragen wie
„Fühlst du dich eher statisch oder dynamisch?“ versucht er heute auszuloten, ob ich
die Pause schon beenden und weiterfahren will. - „Danke, Tobi. Aber die Statik über-
wiegt.“ Also bleiben wir einfach noch ein bisschen liegen.
Alles, was wir brauchen, ist da. Wir stellen keine unerfüllbaren Ansprüche, unser Kapital
steckt in den Beinen und im Kopf, der von Tag zu Tag einen kleinen Traum nach dem an-
deren in Erfüllung gehen sieht. Iowa - der Mittlere Westen - liegt dort, wo ich irgendwie
schon immer mal sein wollte und es bloß noch nicht wusste - nämlich in der Mitte von nir-
gendwo. Warum das so schön ist, fällt mir schwer zu erklären: Alles „Wichtige“ ist hier so
ungeheuer unbedeutend. Alles wirklich Wichtige ist dagegen herrlich einfach.
Am Abend landen wir dann in St. Ansgar in einer Methodistenkirche mit Internet-An-
schluss. Wir erhalten freundlicherweise die Erlaubnis, die Pfarrräume zu benutzen, und
diesmal ist sogar eine Küche dabei.
Damit wir in der Küche auch etwas zu tun haben, nimmt mich der Pfarrer in den
Nachbarort zum Einkaufen mit (keine große Sache - schließlich sind es bis dahin bloß
23 Meilen, und der dortige Supermarkt hat eine größere Auswahl als der in St. Ans-
gar).
Wir haben gerade mit dem Essen angefangen, da kommt der Pfarrer noch einmal, um
nach uns zu sehen. So ganz nebenbei fragt er uns schließlich, ob wir ihm nicht ein wenig
Schach beibringen könnten.
Tobi ist niederträchtig genug, die ganze Sache (mittels fadenscheiniger und verloge-
ner Komplimente) auf mich abzuwälzen. Also muss ich ran.
Ich beginne die Partie überfallsartig: Mit dem Selbstbewusstsein eines dahergereis-
ten Radfahrers, der einem ortsansässigen Pfarrer das Schachspiel beibringt, reiße ich
mir als erstes seinen Bischof (bei uns würde man „Läufer“ sagen) unter den Nagel.
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