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Also haben wir endlich doch noch zwei Dumme gefunden, die uns als Jünger nachfolgen
wollen: Zu viert ist Radfahren einfach noch viel cooler als zu zweit! Da nur Matt so ein
Clown-Jersey anhat, ernennen wir Ward kurzerhand zu unserem Trainer. Doch die beiden
sind ohnehin vom Fach: Ward gehört in Decorah ein Radgeschäft und Matt arbeitet dort.
Der Tageskilometerzähler zeigt 147, als das Elitequartett des Königs von Frankreich nach
zügigem Ritt durch die feindliche Dunkelheit schließlich aus dem Sattel steigt, um den er-
schöpften Drahteseln ihre wohlverdiente Nachtruhe zu gönnen. In „Decoráh“ (klingt ja fast
wie Camembert aus der Normandie!) rollen wir bei Ward zu Hause unsere Schlafsäcke aus,
dann zeigt man uns die örtlichen Bars.
Ward's Leib- und Magen-Bar hat leider auch Nachteile: Die Kellnerin ist zwar knusprig,
hält jedoch ansonsten nicht das, was ihr T-Shirt („Bite me!“) verspricht. Dafür kostet hier
der - ebenfalls eisgekühlte - Dünnbier-Pitcher nur drei Dollar! Was liegt also näher, als
sich auf Vaterland und Binde ein paar hinter die Krone zu kippen? - Oder war's umge-
kehrt?! - Aber bei dem Preis kann man ja jede Version ausprobieren.
Unsere „Jerseys“ (Anglo-Fachchinesisch für „Radtrikot“) werden wir übrigens später
auch noch einige Male auf dem Sportkanal ESPN wiedersehen: Die US-Olympia-Rad-
mannschaft radelt im selben Outfit. Zufall kann's keiner sein, die Typen sind offenbar ge-
nauso zäh wie wir. Der dazugehörige Werbespot ist aber auch mit Abstand der coolste die-
ses Sommers. Und jeder Ami, der ab und zu per TV-Gerät nach Atlanta schielt, kennt ihn.
Wir ziehen also wie zwei verirrte olympische Fackelläufer durch die Lande, nun doch ein
Grund, die aufdringlichen Karos mit stolzgeschwellter Brust zu tragen.
26.
I'm jealous as hell.
Ward, Bikedealer
Wir schlafen diesmal so lange, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als in Decorah gleich
auch noch zu Mittag zu essen. In dem klassischen Road-Diner sitzt dann zufällig Joe, der
Organist, neben uns, der auch schon einmal im Wiener Stephansdom in die Tasten gehauen
hat. Verständlicherweise ist er fast noch mehr überrascht, dass wir, die wir immerhin auch
schon mal im Stephansdom waren, nun plötzlich neben ihm beim Essen sitzen.
Ansonsten ist es ein Tag der Vergangenheitsbewältigung. In den menschenleeren Gegen-
den, durch die wir heute fahren, hat man viel Zeit, über aufgestaute Probleme zu reden und
alte Streitereien aufzuarbeiten.
Nach ein paar nervenaufreibenden Grundsatzdiskussionen geht's wieder besser zwi-
schen Stefan und mir. - Was für ein komplizierter Mensch!
Auch mein persönliches Problem hat sich inzwischen von selbst gelöst: Nachdem
sich die letzten 24 Stunden wohltuend von der üblichen Routine abgehoben haben,
hat die Reise für mich jetzt wieder Farbe bekommen.
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