Travel Reference
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Nachdem Tobi noch Eier und Speck fürs Frühstück eingekauft hat, nächtigen wir
in der Sakristei. (Wer hier schläft, sündigt nicht … )
Stefan bittet mich, noch einen Gedanken niederzuschreiben, der mir am späten Abend
durch den Kopf schlingerte: Unsere Reise ist wie eine willkürliche Abfolge von Abenteuern,
Sequenzen, Bildern. Nur eines bleibt in diesem Hagelsturm von Eindrücken und Erlebnis-
sen gleich: das Radfahren. - Das Radfahren ist immer da. Wie das Rauschen der beiden
Ozeane, zwischen denen wir uns bewegen, oder der Zement in einer Mauer, der die Steine
zusammenhält. Das Radfahren ist nicht nur der sinngebende Faktor unserer Reise - es ist
die Reise. Es ist die logische Verbindung in diesem Kaleidoskop von Kurzgeschichten.
Ich habe heute endlich den entscheidenden Unterschied zwischen Tobi und mir ent-
deckt: Tobi kann nach dem Radfahren nicht gleich essen. Ich kann dafür nach dem
Essen nicht gleich Rad fahren.
22.
First blood.
Rambo I
Stefan spinnt! Er wirft mir vor, ich würde mich nur um mich kümmern und ihm ständig
davonfahren, wenn es ihm besonders mies geht. Ich merke davon allerdings nicht sonder-
lich viel, weil er mir seine miesen Phasen verschweigt. Ich sage, er könne mich doch ein-
fach um Hilfe bitten (Windschattenfahren, langsamer etc.). Er will das nicht, weil er es für
Arschkriecherei hält, ich müsse das doch bemerken, er könne das doch schließlich auch.
Ich spüre den gestrigen Tag und insbesondere die Nacht davor. Gestern habe ich für
Tobi zwei Stunden lang den Dodel gespielt und ihn stillschweigend in meinem Wind-
schatten hinter mir hergeschleift. Und was macht er heute?
Nach einem Streit fahren wir 22 Meilen allein.
Ich ärgere mich über Tobi so sehr, dass ich einfach nicht mehr anhalte und allein
nach Madison davonfahre. Die Wut im Bauch gibt mir die Motivation dazu.
Ich kann tun, was ich will, aber der Spinner ist nicht mehr einzuholen und bald außer
Sichtweite. Nach fast zwei Stunden sitzt er plötzlich kurz vor Madison am Straßenrand. Er
habe 20 Minuten auf mich „gewartet“ und wolle jetzt mit mir (!?) Mittagspause machen
(Powerbar-Festschmaus - igitt!).
In der darauf folgenden Brüllorgie schreien wir uns eine Dreiviertelstunde lang an. Au-
tofahrer verlangsamen auf dem dreispurigen Highway ihre Geschwindigkeit, um zu se-
hen, was da vor sich geht. Gut möglich, dass wir inzwischen schon im Verkehrsfunk sind.
(„Achtung, Achtung, auf Route Nummer 151 schreien sich zwei Radfahrer an. Der Stau
reicht bereits mehrere Meilen zurück …“) - Wenn wir einen Hut aufgestellt hätten, wir hät-
ten mit unserer Attraktion vermutlich ein kleines Vermögen verdienen können. Die weni-
gen Pausen, in denen statt der Schreierei nur das harmonische Dahinplätschern des ameri-
kanischen Autoverkehrs zu hören ist, brauchen wir jedoch zum Luftholen. - Als wir fertig
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