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Anschließend präsentiert sie uns das Programm für die nächste Woche: Heute Nacht kön-
nen wir natürlich bei ihr bleiben. Aber morgen, da hat sie genau auf unserer Route ein paar
Geschwister leben. Übermorgen ist dann die Tante dran und danach der Cousin … - Am
liebsten würde uns Donna bis San Francisco bei all ihren Verwandten und Freunden unter-
bringen. Doch wir sind bescheiden: Für heute reicht es uns, in Yale eine trockene, moskito-
freie Bleibe zu haben.
Treffsicher konfrontiert uns Donna mit den zwei intelligentesten Fragen, die uns bisher
gestellt wurden: Ob wir diese „Hetzerei“ mögen, oder ob wir nicht lieber länger an einem
Ort bleiben möchten, um mehr Tiefenschärfe zu bekommen. Und ob bei so vielen Ein-
drücken nicht einiges wieder verloren geht.
Donna bringt mich auf eine tragende Theorie. Kühn behaupte ich, an einem Ort
länger zu verweilen wäre so, als würde man versuchen, einen Film anhand der Ein-
zelbilder zu betrachten. Amerika ist Film. Unsere Reise ist Film: Die Wahrnehmung
des Unterschiedes, die Abfolge aller Szenen ist es, was den Reiz ausmacht. Irgendwo
zu bleiben wäre sicher auch ganz nett. Aber das ist eine andere Reise, ein anderes
Medium, sozusagen. Natürlich fühlen wir uns manchmal überfordert. Aber das ist in
Ordnung. Von Anfang an war uns klar, dass unsere Tour zu einem Abenteuer werden
könnte, dem wir möglicherweise nicht gewachsen sind.
He, Radfahren macht auch noch philosophisch!
Die Hamburger sind verdrückt und in einem dunkelroten Rootbeer-See versenkt, der
glucksend und blubbernd die Magenwände hinaufschwappt, während wir auf unseren Rä-
dern in der Dunkelheit hinter Donnas Auto her zu unserem neuen Schlafplatz eilen.
Einfach geil: Donnas Sohn hat sich für Sommerpartys ein lauschiges Landhaus herge-
richtet (das er mit beinahe britischem Understatement „Scheune“ nennt). Da sitzen wir nun
mutterseelenallein an der Bar, schlürfen hingebungsvoll Whisky-Cola und glauben - ge-
linde gesagt - zu spinnen. Donna hat uns mit einer Adresse von Bekannten in Ludington
(„Muss irgendwo auf eurem Weg liegen“) versorgt und außerdem Eier, Speck und Brot so-
wie eine selbstheizende Elektropfanne (was es in Amerika alles gibt!) zu unserem Früh-
stück beigesteuert.
Den restlichen Abend hüpfen wir im Disco-Licht ausgelassen durch das leere Partyhaus,
spielen Darts und hören Rolling Stones aus vollen Rohren.
Morgen vor dem Frühstück werde ich wohl, wenn mich danach gelüstet, noch ein Ründ-
chen durch den See vor der Tür schwimmen.
Spätabends bekommen wir dann noch unerwarteten Damenbesuch von der Nachbarfarm:
Es ist die Kellnerin vom Hamburger-Restaurant! Kurzfristig schlägt der Puls höher, die Na-
ckenhaare richten sich auf … - Aber Jenny (so verkündete ihr Namensschild) will offenbar
wirklich nur schauen, ob's uns gut geht. So sind wir schließlich fast ein wenig enttäuscht.
Aber nur ein winzig kleines bisschen.
Nett ist's trotzdem, dass sie vorbeigeschaut hat. Und so fürsorglich.
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