Travel Reference
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mer um den heißen Brei herumnuscheln, wenn wir es in Gegenwart von Einheimischen
verwenden müssen. Erst viel später erfahren wir, was jedem anständigen Amerikaner be-
reits als Kind in die Wiege gelegt ist: Dass es nämlich nicht „Nie a Gara“, sondern „Nai
Jägära“ heißt! - Ein alpenländischer Weidmann hätte damit sicher seine Freude …
Die vergangenen Tage haben deutliche Spuren hinterlassen: Die unerwartet heftige Son-
neneinstrahlung brandmarkt uns mit einem patriotischen Farbenspiel (linke Körperhälfte
rot, rechte Körperhälfte weiß), während der Sunblocker wirkungslos in der Mittagsglut ver-
pufft, und macht uns, wann immer es nur geht, zu Schattenwesen, zu Kreaturen also, die
möglichst oft und möglichst regungslos im Schatten herumsitzen. Unsere ungewohnt öko-
logische Fortbewegungsart bewirkt auch eine „Ökologisierung“ des Verdauungssystems:
Biogas, ungefiltert und schwefelhaltig, entweicht den durch dauerhaftes Gewippe aus dem
Gleichgewicht gebrachten Brennkammern und treibt uns - ganz nach dem Rückstoßprinzip
- energiesparend vorwärts.
Trotz der Gewissheit, reine Natur zu erfahren, wird dadurch das Windschattenfahren für
den Hintermann zur Qual. Immer wieder atemberaubende Momente, die zum Nachdenken
anregen. (Waren es die Hamburger, die vielen Zwiebeln oder doch die ungezählten Gallo-
nen Cola? Und wenn Cola, war es das Pepsi oder das Coke? Außerdem: Hat man dasselbe
gegessen wie der andere? Wirkt ein „Chili-Burger“ genauso wie ein „Veggie-Burger“? Und
wenn, warum riecht's dann nach verwestem Knoblauch? - Ach, es gibt ja so vieles, über
das man beim Radeln grübeln kann …)
Trotzdem beginnen wir unsere neue Freiheit zu genießen. Infantile Spiele und Wetten
entwickeln sich, wie: „Tote-Stinktiere-Zählen“ oder „Geht Route 79 nach dieser Bergkuppe
nach rechts unten oder links oben weiter?“
Stefan verliert diese letzte Wette und fährt vor lauter Enttäuschung über die Niederlage
und das verlorene Bier beinahe in den rechts unten angrenzenden Acker.
Ich hätte nie gedacht, dass ich den Text von so vielen Liedern kann. Aber wenn man
so durch die Landschaft radelt, hat man fast immer ein passendes Liedchen auf den
Lippen. Vermutlich, weil es keiner hören kann; so summt man wie ein defekter Radio-
wecker vor sich hin. Melodien kommen und gehen wie der Wind (Fahrt-, nicht Darm-
wind), und meistens wird auch die Assoziation, die zu dem Lied geführt hat, bald klar.
Ich singe oft in diesen Tagen. Eigentlich ein gutes Zeichen.
Endlich gelingt es mir, mich gegen die psychische Versumpfung durch endlose Geraden
mit ewigem Horizont zu wehren: Ich starre einfach nach unten auf das Vorderrad und ach-
te nur darauf, dass es immer zehn Zentimeter rechts von der Pannenstreifenlinie bleibt.
Alle zwei Minuten suche ich die nächste Meile nach störenden Kadavern („Roadkill“) und
Schlaglöchern ab und male mir die Verwirrung der entgegenkommenden Autofahrer aus,
die statt meines Gesichtes nur die Oberseite meines Helms zu sehen bekommen: Ein neu-
es Schutzvisier gegen Riesenmoskitos? Ein blinder Radfahrer, der nach Gehör strampelt?
Oder doch Jim Carrey, der für den Film „Die Maske“ trainiert?
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