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entweder steil bergauf oder steil bergab. Dieser verdammte letzte Berg rüttelt ganz furcht-
bar an meiner Schmerzgrenze. Wenn das hier schon anfängt, wie um Himmels willen sollen
wir dann die Rockies schaffen?!
Um drei Uhr nachmittags haben wir erst 25 Meilen zurückgelegt. Anstatt zu fahren, lie-
gen wir abseits der Straße im Gras herum. Gedanken fließen zäh, die Tage verschwimmen,
verlieren die Konturen. Obwohl es schon so lange her ist, sind wir doch eben noch in den
Bergen von Connecticut herumgeradelt. Oder nicht?
Es ist angenehm, vom Rad zu steigen und sich auf den Boden zu legen: Als ob man
von Bord eines Schiffes geht und endlich wieder festen Grund unter den Füßen hat.
- Seit Tagen haben wir uns nicht mehr gefragt, ob wir genug Kraft für diese Reise
haben. Jetzt zeichnet sich aber ab, dass die wahre Stärke woanders liegen muss: Mo-
tivation.
Ich bin mir nicht mehr sicher, ob wir überhaupt im richtigen Maßstab reisen. 30
statt 60 Meilen am Tag wären wahrscheinlich auch genug. Genug jedenfalls, um sich
erledigt und verbraucht zu fühlen, und wohl auch genug, um eines schönen Tages mit
einem Gepäckträger voller Abenteuer in San Francisco anzukommen.
Irgendwann vor unserer Abfahrt hatten wir beschlossen, dass 100 Kilometer (oder
rund 60 Meilen) am Tag eine schaffbare Distanz wären. Seitdem haben wir über den
Sinn oder Unsinn dieser aus der Luft gegriffenen Zahl nicht mehr nachgedacht. Wer
mit dem Auto reist, bekommt nur einen Kurzfilm serviert. Aber muss man denn mit
dem Rad genauso rasen?
Ich blicke von der Straße aus in die Ferne. Dieser Kontinent ist so schön! Ich frage
mich, ob wir das nur so empfinden, weil wir die großen Städte und Highways mei-
den. Natürlich gibt es dort draußen auch Städte. Aber welches Amerika ist das echte?
Und welches Amerika meinen die, die behaupten, dass sie Amerika kennen und nicht
mögen? - Wir haben in so wenigen Tagen bereits so viel Unterschiedliches gesehen.
Unverständlich, dass das alles zu einem Land gehört.
Unablässig beschäftigt mich die Frage, wie groß Amerika ist und wie lange drei
Monate dauern. Zeit und Raum sind die maßgeblichen Kategorien geworden. Unser
Rückflug ist jedenfalls gebucht. 24. August. Programmierter Notausgang. Keine
Fahrt in die zeitlose Unendlichkeit. Das raubt einem irgendwie die Illusionen: Schwie-
rig loszulassen, wenn man an beiden Enden festgebunden ist …
Eigentlich wollten wir ja noch weiter als Whitney Point fahren, aber da war auf einmal
diese hässliche, schwarze Wolke, und außerdem wollte Stefan nach seinen geistigen
Tagebuch-Ergüssen unbedingt eine halbe Gallone Eis verdrücken.
Es war daher nur logisch, dass wir uns gerade mit einem mittelgroßen Fass „Vanilla Fud-
ge“ in dem überdachten Hinterhof eines Postgebäudes befanden, als auf einmal dieser net-
te, wunderliche Ex-Cop mit seinem Colly-Schäfer-Mischling daherkam.
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