Travel Reference
In-Depth Information
mächer und versinken in den riesigen Federbetten wie Eiswürfel in Cherry-Cola, während
der Regen ab Mitternacht zornig gegen die Fensterscheiben klopft.
5.
If you're going to San Francisco,
be sure to wear some flowers in your hair …
Scott McKenzie
Obwohl draußen bereits lange die Sonne scheint, können wir uns nur schwer von unseren
himmlischen Betten und der sündhaften Gemütlichkeit trennen. Unser Aufbruch zeigt dann
schließlich erstaunliche Parallelen zum Rauswurf aus dem Paradies: Wir sehen nicht nur,
dass wir nackt sind (weshalb wir uns natürlich gleich unsere Jerseys anziehen), wir wer-
den auch noch von der Erkenntnis überwältigt: Für diese Reise haben wir zu viele irdische
Güter angehäuft! (Also trennen wir uns von dem Haufen Bücher, die wir naiverweise un-
terwegs lesen wollten.) Damit nicht genug, bekommt jeder von uns vom Butler noch ein
Äpfelchen mit auf den Weg …
Als wir dann endlich auf der Straße sind, peitscht uns die Wirklichkeit gnadenlos ins Ge-
sicht: Kleine Sünden straft der liebe Gott bekanntlich sofort und in Amerika offenbar be-
sonders rasch. In diesem Fall ist es Windgott Äolus, der uns nach der gestrigen Laschheit
(nicht
einmal
100 Kilometer
Quälerei)
eine
unmissverständlich
westliche
Brise
schickt.
Den ganzen Tag über bläst uns der Wind entgegen. Nachdem mir Tobi am Vor-
mittag mit seinem Triathlonlenker auf und davon gefahren ist, fasse ich schweren
Herzens den Entschluss, mir auch so ein teures Ding zuzulegen. Warum hat dieser
Mensch eigentlich schon in Boston das richtige Zeug gekauft?
Nach dem Mittagessen schickt uns ein einheimischer Koch von Route 28, einer sechss-
purigen Autobahn, auf eine Nebenstraße, wo es nach ein paar Meilen in einem Ort namens
Woodstock ein Radgeschäft geben soll.
Irgendetwas ist anders in diesem Kaff. Das merken wir schon beim Hineinfahren: Überall
schleichen so seltsam abgesandelte Typen mit einer Träne im Augenwinkel herum. Die Au-
tos sind bunter und vergammelter als anderswo. Endlich fällt der Groschen. Als wir einen
gleichaltrigen Passanten fragen, ob das hier möglicherweise das Woodstock sei, schnauzt
der sichtlich genervt ob der blöden Frage zurück: „Ja, das ist das Woodstock! Oder haben
wir hier nicht genug Hippies aufgestellt?“
Woodstock hat etwas von einer Künstlerkolonie. Alles ist ein bisschen märchenhaft: An
jeder Ecke verkauft einer Nasenringe oder Räucherstäbchen oder handgedrehte Kerzen
(oder handgedrehte Räucherstäbchen - was da wohl drin ist?).
In einem Lokal gibt's Samuel Adams Lager - so viel man vertragen kann um sechs Dol-
lar. Wir vermuten, dass sich das Angebot für zwei dauerdurstige Radfahrer auszahlen könn-
te. Außerdem soll Bier ja gesund sein, für die Nieren und so. Wir ringen uns durch, das
Search WWH ::




Custom Search