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Souvenir-T-Shirts verkaufen. Und eine Brücke mit Plakateffekt: Je weiter weg, desto schö-
ner.
War das das Ziel? Ich habe es nicht begriffen, begreife es noch immer nicht. - Über
die Bucht fahren wir trotzdem.
Schmucklose letzte Minuten. Kälte, Feuchtigkeit, Pendlerverkehr, Fußgängerhorden, das
Ortsschild von San Francisco mitten auf der Brücke - das war's. Wir sind da.
Die Gedanken und Anstrengungen der letzten 67 Tage sind Geschichte. Einfach so.
Ein großer Schritt für uns - aber für die Menschheit? Niemand bekommt es mit. Zu
viel Lärm hier. Niemand fragt uns. Warum auch? Insgeheim sehne ich mich zurück.
Nach Iowa. Oder Wyoming.
Es ist alles so anders, als ich es mir vorgestellt habe. Auf Eskimo Hill, da hatte ich
noch Emotionen. Hier ist es dafür zu kalt. Ob die Reaktion noch kommen wird? Ir-
gendwann vielleicht. Nicht heute. Ich habe alles verdrängt - ich kann es nicht fassen,
nicht einmal darüber nachdenken.
Glücklicherweise haben wir den ganzen Tag Zeit, uns ein Quartier für die Nacht zu su-
chen. Zu den üblichen Problemen kommen hier nämlich noch zwei neue dazu. Erstens: Wir
sind in einer Metropole mit mehr als einer halben Million Einwohnern. Das heißt, wir sind
nicht die Einzigen in dieser Gegend, die nachts gern ein Dach überm Kopf hätten. Zwei-
tens: Wir hatten eigentlich vor, ungefähr eine Woche in dieser Stadt zu bleiben und nicht
gleich morgen wieder dem Leitfaden irgendeiner neuen Mission nachzulaufen. Es gibt kei-
nen Faden mehr. Und die Mission heißt: entspannen, erholen und einfach zufrieden mit sich
selbst sein.
An der Brückenabfahrt treffen wir Jesse, den Schriftsteller. Als wir ihm unsere Geschich-
te erzählen, bietet er uns spontan an, bei ihm zu wohnen: Am Freitag fliegt er nach New
York, aber bis dahin sind es ja noch zwei Tage … - Das Glück bleibt uns also auch am
Ende unserer Reise hold.
Nun, da wären wir also. Das schäbige Heft, in das ich während der letzten zwei Monate
meine Tagebuchaufzeichnungen gekritzelt habe, ist voll. Stefan und ich sitzen am Fisher-
man's Wharf in einer wunderschönen Wohnung im zweiten Stock eines Altbaus und versu-
chen - jeder für sich - das hinter uns liegende Abenteuer zu verdauen.
Die Gedanken schweifen ab: Früher hab ich in genau so einem Heft meine Mathe-Haus-
übungen gemacht und fast ein halbes Jahr gebraucht, um es zu füllen. Meine Ziele und
Perspektiven von damals waren vernünftig und bodenständig, stammten aus einer anderen
Dimension. All das ist noch keine acht Jahre her, und jetzt bin ich einfach so durch Ameri-
ka geradelt. Verrückt! Aber eine ungeheure Befriedigung.
Manchmal frag ich mich allerdings: warum? Und warum beneiden uns so viele Leute um
diese zweimonatige Spinnerei? Was man auf so einer Reise gewinnt, kann doch keiner von
außen sehen. Das ist nicht wie ein Porsche oder ein Pelzmantel oder eine Villa auf dem
Land oder was der Mensch sonst so gerne besitzt und herzeigt. Was man auf so einer Reise
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